"Ich hätte alles getan,
um das hier nicht durchmachen zu müssen."
Eine genetische Veranlagung führt bei Stefanie Abt dazu, dass sie bereits mit 30 Jahren an Brustkrebs erkrankt. Die vergangenen Jahre sind unfassbar belastend für sie – ihren Mut und Überlebenswillen hat sie dennoch keine Sekunde verloren.
Stefanie Abt, 33, sitzt am Küchentisch, die Wand dahinter ist in zartem Grün gestrichen. Sie hat weiße Schmetterlinge darauf geklebt, „um den Frühling ins Haus zu holen“; der Kaffee dampft. Ihr Jüngster, Jonas, 4, kommt mit einem Polizeiauto vorbei, spielt ein bisschen. Es könnte alles so schön sein…
Als Stefanie Abt im Dezember 2014 eine Verhärtung rechts oben in ihrer Brust fühlt, pflegt sie gerade ihren Vater. Prostatakrebs, er liegt im Sterben. „Wenn ich gewusst hätte, dass es diese genetische Veranlagung zu Brust- und Eierstockkrebs in unserer Familie gibt, dann hätte ich mich frühzeitig testen lassen.“ Was wäre die Konsequenz gewesen? „Ich hätte es genauso gemacht wie Angelina Jolie. Erst die Brüste entfernen lassen und später die Eierstöcke. Ich hätte alles getan, um das hier nicht durchmachen zu müssen.“ ‚Das hier‘ sind bis heute acht Operationen, ungezählte Chemo-, Strahlen- und Antihormontherapien, um das Krebswachstum einzudämmen. Wie es weitergeht? Sie hofft, wieder ganz gesund zu werden. „Ich will doch meine Jungs noch großziehen.“
Im UKE haben Patientinnen mit entsprechender Vorgeschichte in der Familie die Möglichkeit, sich im Kompetenzzentrum für familiären Brust- und Eierstockkrebs beraten und auf das verantwortliche BRCA-Gen testen zu lassen. BR steht für Breast (Brust) und CA für Cancer (Krebs). „Eine Vorgeschichte sind zum Beispiel zwei weibliche Verwandte ersten oder zweiten Grades mit Brustkrebs, eine davon unter 50. Oder eine mit Brust- und die andere mit Eierstockkrebs“, sagt die leitende Ärztin Priv.-Doz. Dr. Isabell Witzel. Wenn Brustkrebs unter 35 auftritt, läuten bei den Experten sofort die Alarmglocken. „Und wenn auch andere Tumorarten wie Prostata- oder Bauchspeicheldrüsenkrebs, Melanome oder Leukämien in der Familie vorgekommen sind, verdichtet sich die Vermutung“, sagt die Ärztin.
In Stefanie Abts Familie gibt es – außer dem Prostatakrebs des Vaters – nichts von alledem. Die gelernte Hotelkauffrau ist das Bilderbuchbeispiel, dem das eigentlich nicht passieren kann. Sie ist schlank, ernährt sich gesund, treibt regelmäßig Sport. Sie heiratet jung, bekommt ihren ersten Sohn Niklas mit 22, den zweiten, Sebastian, mit 24. Jonas wird geboren, als sie 29 ist. Heute sagt sie: „Ich bin froh, dass alle Jungen sind – dass ich keine Tochter habe mit einer solchen Belastung.“
Als Stefanie Abt im Januar 2015 zu ihrer Frauenärztin geht, weil der Knoten in der rechten Brust größer schien, wird ihr eine Mammographie, eine spezielle Röntgenuntersuchung, verordnet. Am 12. Mai, kurz vor ihrem 31. Geburtstag, der Schock: Der Tumor ist bereits 2,4 cm groß. Was sie nach der Diagnose gefühlt hat? „Ungläubigkeit, ich doch nicht.“ Sie ruft ihre Mutter an: „Nein, nicht du!!!“ Die Biopsie zehn Tage später sagt etwas anderes. Doch! Du!
„Dr. Witzel hatte schon nach der ersten OP den Verdacht, dass ich dieses mutierte BRCA-Gen habe“, erinnert sich Stefanie Abt. 14 Tage nach Beginn der Chemo kommen die Testergebnisse aus der Humangenetik. „Als ich von meiner genetischen Belastung erfuhr, habe ich gefragt, wie hoch die Chancen stehen, dass eines Tages auch die linke Brust befallen wird.“ Über 50 Prozent hieß es. „Ich hab mich sofort für die komplette Entfernung beider Brüste entschieden.“ Hatte sie keine Zweifel? Sie schüttelt den Kopf. „Nein, ich setze mich ja auch nicht in ein Flugzeug, das mit großer Wahrscheinlichkeit abstürzt.“ Zwei der bei der OP entnommenen axillären Lymphknoten sind ebenfalls befallen. Das bedeutet, dass die Krebszellen nicht mehr auf die Brust begrenzt sind. Der Tumor hat gestreut, eine Chemotherapie, mit der die bösartigen Zellen im Körper abgetötet werden sollen, wird notwendig. Sie kauft sich eine Perücke. Was sie ihren Kindern gesagt hat? „Dass ich ein Mammakarzinom habe.“ Klein, wie sie waren, sagt ihnen das nicht, was gerade mit ihrer Mama geschieht; wie schmerzhaft die Erkrankung, wie hart die Therapien für sie sind, wie abgrundtief die Traurigkeit ist und die Angst zu sterben, ihre Kinder nicht mehr begleiten zu können, bis sie groß sind. „Ich will doch mit meinem Ältesten in die Disco, wenn er 18 ist.“ 2026 ist das – an manchen Tagen scheint es unerreichbar weit entfernt zu sein. Ihr Mann Daniel sagt: „Ich tue alles, damit du noch lange bei uns bist.“ Wenn er weint, dann heimlich.
Auch ihre Schwester Alexandra, 31, trägt das Gen in sich. Sie ist nicht erkrankt und wird auch im UKE betreut. Keine Frau, sagt Stefanie Abt, sollte untätig bleiben. „Die genetische Belastung kann man frühzeitig abklären! Hätte ich das gewusst, mir wäre so vieles erspart geblieben.“ Was Frauen sonst noch wissen müssen? „Dass die Krankheit die schwerste Beziehungsprobe ist – aber wenn ein Mann das nicht aushält, ist er auch nicht der Richtige. Und dass eine Reha hilft, wieder zu Kräften zu kommen.“ Stefanie Abt hat alle Höhen und Tiefen durchgemacht; was werden wird, weiß sie nicht. Aufgeben kommt aber nicht in Frage.
Text: Katrin Reichelt
Fotos: Axel Kirchhof