Ausgefragt?! – Diagnose Prostatakrebs: Wann muss behandelt werden?
Interview mit Prof. Dr. Alexander Haese
Bei Männern ist Prostatakrebs die häufigste Krebserkrankung: Jährlich erkranken rund 66.000 Männer alleine in Deutschland. Die Martini-Klinik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) ist spezialisiert auf die Behandlung von Prostatakrebs und führend in der operativen Entfernung der Tumore mit roboterassistierten Operationssystemen, die schon seit 20 Jahren zum Einsatz kommen. Welche Vorteile diese Methode für Patienten hat und wie das neue da Vinci Single-Port-Operationssystem funktioniert, erklärt Prof. Dr. Alexander Haese, Leitender Arzt in der Martini-Klinik.
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Das Interview zum Nachlesen
Mein Name ist Alexander Haese. Ich bin leitender Arzt für Urologie an der Martini-Klinik am UKE in Hamburg.
Herr Professor Haese, Diagnose Prostatakrebs: Wann muss behandelt werden?
Man behandelt ein Prostatakarzinom ganz abhängig davon, in welchem Stadium man es gefunden hat. Es gibt bei den ganz früh erkannten Prostatakarzinomen sogar Szenarien, wo wir sagen, wir können diesen Tumor im Sinne einer sogenannten aktiven Überwachung zunächst einmal monitoren, also beobachten und schauen, wie rasch er sich entwickelt. Der zweite große Teil der Behandlung ist das, was wir einen behandlungsbedürftigen, aber klinisch lokalisierten Prostatakrebs nennen, also ein Tumor, bei dem wir nach dem Stand der Diagnostik, sei es durch MRT oder andere Formen der Bildgebung, den Eindruck haben, dass er auf die Region Prostata beschränkt ist. In diesem Fall ist die operative Therapie die vollständige Entfernung der Prostata mit den Samenblasen und den Lymphknoten oder alternativ dazu die Strahlentherapie in verschiedenen Varianten ein möglicher Therapieweg mit heilender Vorstellung. Am anderen Ende des Spektrums stehen die Tumoren, die zum Zeitpunkt der Diagnose oder auch nach Abschluss einer Therapie metastasiert sind, also wieder aufgetreten sind oder von vornherein Fernmetastasen gesetzt haben. In einer solchen Situation ist leider eine alleinige lokale Therapie nicht mehr zielführend. Man wird hier durch eine Kombination aus medikamentöser Therapie und in einzelnen Fällen lokaler Therapie den Tumor versuchen, so lange wie möglich – auch das gelingt über Jahre, manchmal über zehn Jahre und länger – unter Kontrolle zu halten.
Welche Operationsmöglichkeiten gibt es bei einem bösartigen Befund?Da gibt es in der Urologie die zwei großen operativen Wege: Den klassischen Schnittzugang, die sogenannte radikale retropubische Prostatektomie, oder, was in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat, das, was man unter roboterassistierter Operationstechnik versteht, also ein Verfahren, bei dem wir mit hoch aufwendiger Medizintechnik bei dem Patienten im Grunde aber trotzdem das Gleiche machen, nämlich die Prostata mit Samenblasen und gegebenenfalls Lymphknoten vollständig entfernen, um ihn von seinem Tumorleiden zu befreien.
Seit 20 Jahren kommen in der Martini-Klinik Operationsroboter zum Einsatz, warum?Wir operieren mit einem OP-Roboter, weil er eine Präzision und Genauigkeit der Operationen im sehr kleinen engen Raum, nämlich im Becken des Mannes, wo es kaum Platz gibt, ermöglicht. Verknüpft mit einer Vergrößerung, mit einer zehnfachen Vergrößerung und mit einer Geschicklichkeit, die man auch als extrem erfahrener Operateur im offenen Zugangsweg nicht wird erreichen können. Das übersetzt sich für den Patienten in eine deutlich kleinere, schonendere und letzten Endes auch weniger komplikationsreiche Operation mit dem Ziel der langfristigen Tumorheilung.
Welche Vorteile hat das neue da Vinci Single-Port Operationssystem?Das neue Single-Port-Operationssystem, das wir jetzt im Jahr 2024 erstmals anwenden, auch als Erste in Europa, hat neben den bekannten Vorteilen, die wir in der Robotik schon seit 20 Jahren kennen, nämlich eine zehnfache Vergrößerung, eine Skalierbarkeit der Handbewegungen und die zitterfreien Hände, zusätzliche Vorteile dahingehend, dass wir das Ganze nicht mehr über sechs Zugänge machen, die wir halbkreisförmig um den Bauchnabel verteilen, um zur Prostata hinzukommen, sondern wir machen das Ganze über einen einzigen, etwa 2,5 Zentimeter messenden Schnitt knapp unterhalb des Bauchnabels. Über diesen einen Zugang ist eine Operation möglich, die der operativen Qualität in nichts nachsteht, sondern sie wahrscheinlich sogar noch verbessern dürfte. Aber verbunden für den Patienten mit einem viel geringeren Schmerzerlebnis, mit einer viel besseren, schnelleren Rekonvaleszenz und damit letzten Endes mit einem weniger ausgeprägten operativen Trauma.
Welche Probleme können nach der Prostata-Operation auftreten?Wenn man von der Prostata-Operation spricht, tauchen immer wieder die beiden Schreckgespenster auf: Die Veränderung der Kontinenz, also der Fähigkeit, den Urin halten zu können, und die Veränderung oder Einschränkung der Erektionsfähigkeit. Das ist das, was so schwierig ist an der Operation zu erhalten. Das ist das, was am Ende auch den Bedarf macht für spezialisierte Operateure, die sich auf diesen ganz besonderen, ja auch für den Patienten häufig sehr seelisch belastenden Themen extrem gut auskennen, damit es eben nicht zu der gefürchteten Komplikation Kontinenz oder Erektionsstörung kommt.
Wie geht es nach der Operation weiter?Grundsätzlich geht es zweigleisig weiter. Der Patient wird von dem Urologen, der ihn zu uns geschickt hat, auch wieder zurückübernommen, gewissermaßen. Der Urologe kümmert sich um die weitere urologische Nachsorge bei diesem Patienten. Gleichzeitig ist es aber so, dass wir auch in der Martini-Klinik wissen wollen, wie es dem Patienten geht. Denn die Nachkontrolle ist letzten Endes ja auch eine Qualitätskontrolle. Das heißt, die Fragen, die wir an den Patienten stellen, eben monatlich, jährlich und dann so lange, wie die Patienten das im Grunde möchten, bezüglich der Heilung, bezüglich der Kontinenz, bezüglich der Erektionsfähigkeit oder eventuell aufgetretener Komplikationen. Diese Fragen stellen wir den Patienten und zwar allen Patienten, die bei uns behandelt worden sind. Mittlerweile sind es über 40.000 Patienten, die wir fragen, die uns ihre Fragebögen zurückschicken. Und aus diesen Fragebögen können wir dann dem Patienten, der morgen oder nächste Woche oder in einem Jahr kommt und sagt: „Ich glaube, ich entschließe mich zur operativen Therapie bei Ihnen. Wie wahrscheinlich ist es, dass ich Störungen der Erektionsfähigkeit habe? Oder wie lange muss ich mit einer Beeinträchtigung der Kontinenz rechnen?“ Diese Fragen können wir ihm beantworten, nicht basierend auf irgendeinem Lehrbuch, sondern auf der Erfahrung, die wir in der Martini-Klinik haben.
Wie sind die Heilungschancen nach einer Entfernung des Tumors?Grundsätzlich hängt die Wahrscheinlichkeit der langfristigen Heilung natürlich davon ab, zu welchem Stadium man den Tumor operiert. Wenn wir den Idealfall annehmen, das heißt, wir haben einen Patienten, der regelmäßig in die urologische Vorsorge gegangen ist, dessen Urologe regelmäßig den PSA-Wert bestimmt hat, bei auffälligen PSA-Werten die richtigen Schritte in der Diagnostik eingeleitet hat und wir ihn letzten Endes operieren können, und wir finden nach der Operation einen sogenannten organbegrenzten, also auf die Prostata beschränkten Tumor, dann kann dieser Patient mit einer exzellenten Prognose von 80 bis 90 Prozent langfristiger Heilung rechnen.
Haben Sie noch eine Botschaft für uns?Machen Sie das wie Ihre Ehefrauen, gehen Sie zum Spezialisten, zur urologischen Vorsorge. Lassen Sie sich in regelmäßigen Abständen den PSA-Wert bestimmen. Und kennen Sie Ihre Familienvorgeschichte. Wenn Sie einen Bruder haben oder Ihr Vater einen Prostatakrebs hatte, seien Sie alarmiert. Es ist wie bei der Frau mit dem Brustkrebs. Wenn Sie das machen, wenn Sie aufmerksam sind mit sich und zum Urologen gehen, dann werden Sie durch die PSA-Bestimmung die Chance erhöhen, dass Sie langfristig, wenn der Tumor denn zuschlagen sollte, in einer Situation ihn behandeln können, dass das operative Ergebnis für Sie mit der bestmöglichen Chance auf langfristige Heilung verknüpft ist.