Wie im Schraubstock
Schon als Kind leidet Katrin Poppelbaum an schwerer Migräne. Mit Schmerztabletten versucht sie jahrelang, ihre Attacken in Schach zu halten. Doch dann werden die Abstände zwischen den Attacken kürzer und die Schmerzen so unerträglich, dass die 44-jährige beinahe allen Lebensmut verliert.
Dieser verfluchte Schmerz. Mitten in der Nacht fährt er wie eine geballte Faust in ihren Kopf und drückt mit voller Kraft von hinten gegen das linke Auge. Manchmal so stark, dass Katrin Poppelbaum meint, es könne im nächsten Moment herausfallen. Dann wandert der Schmerz weiter und breitet sich aus – bis in den letzten Winkel ihrer linken Hirnhälfte. „Es fühlt sich an, als hätte man meinen Schädel in einen Schraubstock gespannt und würde ihn ganz langsam zerquetschen“, erzählt die Hamburgerin. Licht tut ihren Augen weh, Gerüche sind unerträglich. Ihr Magen sitzt wie ein kleiner, fester Ball in ihrem Körper und möchte am liebsten alles von sich geben.
Heftige Migräneattacken wie diese überrollten Katrin Poppelbaum früher ein bis zwei Mal im Monat. „Da kann man nichts machen, damit musst du leben“, hört sie immer wieder, auch von Ärzten – und so lebt sie lange Zeit damit. Den Schmerz dämpft sie mit Tabletten, um irgendwie zu funktionieren. Ganz abschalten lässt er sich nicht. „Ich war nie der Typ, der sich hinlegt, die Vorhänge zuzieht und einfach abwartet, bis der Anfall vorüber ist“, erzählt die Unternehmerin, die mit ihrem Mann seit fast 15 Jahren eine erfolgreiche Kleindarsteller-Agentur leitet und einen sechsjährigen Sohn hat. Doch eines Tages hört ihr Körper auf zu funktionieren – und die Migräne wird zum Dauerzustand. „Wenige Wochen nach dem ersten Geburtstag unseres Kindes bemerkte ich plötzlich, dass ich jeden Morgen mit einem dröhnenden Schädel aufwache“, erinnert sich Poppelbaum. Die Zeit vergeht, der Schmerz jedoch nicht. „Häufig weinte ich bei den Versuchen, den Kleinen morgens anzuziehen. Manchmal blieb ich einfach im Bett liegen. Irgendwann ging gar nichts mehr.“ Sie fängt an, am Sinn des Lebens zu zweifeln. „Ich habe daran gedacht, mir den Kopf wegzuschießen. Ich wollte den Schmerz direkt treffen.“
Am Wendepunkt
Es ist der Gedanke an ihre Familie, der sie davon abhält und dazu bringt, echte Hilfe zu suchen. Ein Neurologe untersucht sie von Kopf bis Fuß, stellt fest, dass Katrin Poppelbaum „das richtige Medikament wohl noch nicht gefunden hat“. Die verordneten Massagen helfen nicht, ebenso wenig wie die Akkupunktur; sie scheinen manchmal sogar den nächsten Migräneanfall auszulösen. Als sie nicht mehr weiter weiß, ruft sie in der Kopfschmerzambulanz des UKE an – und sitzt einige Zeit später bei dem Neurologen und Migräneforscher Prof. Dr. Arne May im Behandlungszimmer.
„Wir haben ein sehr langes Gespräch geführt, in dem ich mich zum ersten Mal mit meinem Migräneproblem ernst genommen fühlte. Darauf hatte ich nicht mehr zu hoffen gewagt“, so die Unternehmerin. Sie fängt an, ihre Attacken in einem Kopfschmerzkalender festzuhalten und sagt ihre Teilnahme an einer Migränestudie zu, die Prof. May im Institut für Systemische Neurowissenschaften des UKE realisiert. 30 Tage in Serie lässt sie sich in eine MRT-Röhre schieben und ihr Gehirn scannen – ganz gleich, ob ihr Kopf gerade schmerzt oder nicht. Schlimmer noch: Während der Untersuchungen werden ihre Augen mit Lichtblitzen und ihr Geruchssinn mit Ammoniak traktiert. Schmerzlindernde Medikamente erhält sie erst nach der Untersuchung. Trotz alledem empfindet sie ihren Einsatz nicht als Tortur. „Ganz im Gegenteil. Während der Studie ging es mir so gut wie lange nicht mehr“, sagt Poppelbaum. „Dass man sich so intensiv um mich kümmerte, hat mir extrem geholfen.“ Sie macht autogenes Training und lernt Techniken, ihren Schmerz mit der eigenen Vorstellungskraft zu lindern. Ihrem Migräneauslöser kommt sie dank des Kopfschmerzkalenders auf die Spur. „Ich stellte fest, dass die nächste Attacke immer dann einsetzte, wenn ich von einer stressigen Phase in eine ruhige überging.“
Motiviert durch diesen ersten Therapieerfolg setzt sich Poppelbaum mit ihrem Internisten zusammen, der sie seit Jahren wegen zu hohen Blutdrucks behandelt. „Wir probierten verschiedene Blutdrucksenker aus, die Migräne zu lindern scheinen, und wurden beim dritten Versuch fündig“, berichtet Poppelbaum. Gleichzeitig stellt sie ihre Ernährungsund Bewegungsgewohnheiten komplett um. „Seitdem ich regelmäßig Sport treibe und gesund esse, spüre ich, wie ich meinen Körper – und damit auch den Schmerz – besser kontrollieren kann.“
Migräneanfälle hat Katrin Poppelbaum nur noch äußerst selten, höchstens zwei- bis dreimal im Jahr. Was sie sich wünscht? „Es wäre toll, wenn es irgendwann einen Wirkstoff gäbe, der die Migräne im Keim erstickt“, sagt sie und hofft, mit ihrer Studienteilnahme ein klein wenig dazu beigetragen zu haben.
Text: Nicole Sénégas-Wulf
Fotos: Ronald Frommann