Halt geben
Leidet ein Mensch an einer unheilbaren, fortschreitenden Krebserkrankung, gerät häufig auch das Leben der Angehörigen aus dem Gleichgewicht. Sie wollen helfen – und fühlen sich selbst großen Belastungen ausgesetzt.
Frau Prof. Oechsle, welche Auswirkungen hat eine Krebserkrankung auf das Leben der Angehörigen?
Prof. Dr. Karin Oechsle, Ärztliche Leiterin des Bereichs Palliativmedizin der II. Medizinischen Klinik: Unter einer unheilbaren, fortschreitenden Krebserkrankung leidet nicht nur der Patient selbst, auch Familie und Freunde erleben oftmals enorme Belastungen. Angehörige setzen meist ihre ganze Kraft ein, um einen nahestehenden Menschen bei der Bewältigung der Krankheit zu unterstützen. Dabei gelangen sie häufig selbst an ihre physischen und psychischen Grenzen.
Welche Möglichkeiten gibt es, sie bei der schweren Aufgabe zu unterstützen?
In der Palliativmedizin betrachten wir Patienten und ihre Angehörigen als sogenannte „unit of care“, als eine Einheit. Dies kann bedeuten, dass wir Angehörige mit in die Versorgung einbeziehen, vor allem aber, dass wir für ihre Bedürfnisse und Probleme ebenso zur Verfügung stehen wie für die des Patienten. Wir bieten beispielsweise Beratungsgespräche, psychotherapeutische Hilfe, seelsorgerische Begleitung und Trauerbegleitung an. Bislang gibt es jedoch kaum eine wissenschaftliche Studie darüber, ob diese Angebote wirklich helfen und welche Angehörigen besonders dringend Unterstützung benötigen. Deshalb untersuchen wir aktuell im Rahmen einer klinischen Studie, unter welchen Belastungen Angehörige konkret leiden. Dabei schließen wir auch die Trauerphase nach dem Tod des Patienten mit ein. Dieses Projekt wird von der Hamburger Krebsgesellschaft gefördert und in Zusammenarbeit mit dem Institut für Medizinische Psychologie, vor allem mit Prof. Dr. Corinna Bergelt, durchgeführt.
Worunter leiden Angehörige von schwerstkranken Krebspatienten?
Ersten Pilotergebnissen zufolge zeigen mehr als 90 Prozent der Angehörigen klinisch relevante subjektive Belastungen. Die meisten klagen über Erschöpfung, Traurigkeit, Ängste und Schlafprobleme. Mehr als ein Drittel zeigt eine mittel bis schwer ausgeprägte Angstsymptomatik, ebenso häufig treten Symptome von Depressivität auf. Obwohl die Angehörigen insgesamt zufrieden mit der palliativmedizinischen Versorgung waren, blieben einige Bedürfnisse unerfüllt, etwa im Bereich der Kommunikation und im Umgang mit eigenen Ängsten. Aktuell überprüfen wir diese Ergebnisse bei einer größeren Zahl von Angehörigen. Im nächsten Schritt sollen dann die Belastungen und Bedürfnisse von Angehörigen untersucht werden, die schwerstkranke Krebspatienten während einer Palliativversorgung in häuslicher Umgebung begleiten.
Welche Ziele verfolgt die Studie?
Wir wollen die Herausforderungen, mit denen Angehörige konfrontiert sind, frühzeitig erkennen und ihnen passende Therapie- und Unterstützungsangebote zur Verfügung stellen. So soll einerseits den Angehörigen selbst besser geholfen werden. Die Entlastung und Stärkung der Angehörigen verbessert letztlich auch die Versorgung der Patienten.
Text: Nadia Weiß
Foto: Felizitas Tomrlin