Ein neues Herz für Emilia
Emilia kommt mit einem schweren Herzfehler zur Welt. Bis zu ihrem zehnten Geburtstag geht alles gut, doch im Herbst letzten Jahres verschlechtert sich ihr Zustand dramatisch. Schnell ist klar: Das Mädchen benötigt dringend ein neues Herz. Fünf Monate lang bangt die Familie auf der Kinderherzintensivstation des UKE um ihre Tochter. Bis es im Mai endlich heißt: „Emilia, wir haben ein Herz für dich!“
Das Gras steht kniehoch und die ersten morgendlichen Sonnenstrahlen durchbrechen das Spätsommerlaub, als Emilia fröhlich in Richtung Löschteich stapft. „Hier habe ich mit meinem Opa früher immer Kaulquappen gefischt und gewartet, bis ein Frosch draus wird“, erzählt die Zehnjährige vergnügt. Dass sie vor gerade einmal zwei Monaten noch schwerkrank auf der Kinderherzintensivstation des UKE lag und an ein Kunstherz angeschlossen war, das ihr Überleben sicherte, sieht man ihr kaum mehr an. „Es ist wunderbar zu beobachten, wie Emilia seit ihrer Transplantation von Tag zu Tag kräftiger wird“, sagt ihre Mutter, Ulrike Klawonn. „Wir sind unendlich dankbar und erleichtert!“
Mit vier Monaten kommt Emilia zum ersten Mal in die Notaufnahme des UKE. Das Ultraschallbild bestätigt die vermutete Diagnose: Dilatative Kardiomyopathie – eine erblich bedingte, krankhafte Erweiterung der linken Herzkammer, die dazu führt, dass die Pumpkraft des Herzens mehr und mehr nachlässt. „Glücklicherweise konnten wir Emilia damals zügig mit Medikamenten stabilisieren“, erinnert sich Dr. Urda Gottschalk, Oberärztin der kinderkardiologischen Intensivstation des UKE, die Emilia schon damals betreute.
Die Uhr tickt
Zehn Jahre lang geht alles gut. Emilia ist ein fröhliches Mädchen, das am liebsten draußen mit ihren Freunden tobt. Erst letzten Sommer verschlechtert sich ihr Zustand plötzlich so rapide, dass ihr betreuender Kinderkardiologe die Familie in die Ambulanz des Deutschen Herzzentrums Berlin schickt. Als die Eltern die Diagnose der Ultraschalluntersuchung hören, stockt ihnen der Atem: Emilias Herzmuskel ist so kaputt, dass sich bereits Blut zurückstaut und den Lungenkreislauf erreicht hat. „Wir fuhren völlig geschockt zurück nach Hamburg. Dort ging es dann weiter bergab, sodass wir wenig später mit Emilia in die Notaufnahme des UKE mussten“, erinnert sich Ulrike Klawonn. Noch in derselben Nacht kommt ihre Tochter auf die Kinderherzintensivstation.
Wie reagiert ein kleines Mädchen, wenn es erfährt, dass es ein neues Herz benötigt? „Natürlich war ich nicht erfreut. Aber lieber ein neues Herz, als sterben
zu müssen“, resümiert Emilia ohne Umschweife, wie es nur Kinder können. Zwei bis drei Jahre warten Minderjährige im Durchschnitt in Deutschland auf ein Spenderherz – Zeit, die Emilia nicht mehr hatte. „Ihr Herz war bereits in sehr schlechtem Zustand“, erläutert Dr. Gottschalk. Das Mädchen kommt auf
die Warteliste von Eurotransplant, gleichzeitig entscheiden sich die UKE-Herzspezialisten, ihr das Herzunterstützungssystem „Berlin Heart“ einzusetzen, um die Wartezeit zu überbrücken. An Emilias kranker linker Herzkammer werden Kanülen platziert und mit einer Herzkammer außerhalb des Körpers verbunden, über die ihre Organe pausenlos mit Blut versorgt werden. Ihre Mutter erinnert sich, wie schwach ihre Tochter nach der Operation war. „Sie wog nur noch 23 Kilo bei 1,50 m Körpergröße.“ Um Emilia wieder aufzupäppeln, kocht sie jeden Abend ihr Lieblingsgericht. „Dank Gulasch und Spaghetti Bolognese wog Emilia bald wieder um die 30 Kilo.“
Zwischen Hoffen und Bangen
Tapfer schiebt die Zehnjährige ihr Kunstherz über die Gänge der Kinderherzintensivstation, deren
Kontrolleinheit sich in einem schweren Rollwagen befindet. Am liebsten vertreibt sie sich die Zeit mit ihrer Nähmaschine, die ihre Mutter von zu Hause mitgebracht hat. „Einem Krankenpfleger habe ich sogar den Duschvorhang umgenäht und einer Reinigungskraft die Jeans gekürzt“, lacht Emilia. Was sie gar nicht mag, sind die täglichen Blutabnahmen. „Hier war auch von unserer Seite viel Einfühlungsvermögen gefragt“, sagt Marlies Bergers, Pflegerische Stationsleitung der Kinderherzintensivstation. „Wenn ein Kind so lange Zeit unter so extremen Bedingungen im Krankenhaus bleiben muss, ist ein vertrautes Verhältnis besonders wichtig.“ Emilia hat eine herzliche Verbundenheit zu vielen Pflegekräften und scheint eine Balance gefunden zu haben in ihrer neuen Lebenssituation – bis sie eines Nachmittags beim Kartenspielen plötzlich zusammensackt: ein Schlaganfall mit Thrombus in der linken Hirnhälfte, wie die Computertomographie (CT) deutlich zeigt. In der Interventionellen Radiologie des UKE wird der Blutklumpen per Kathetereingriff entfernt, woraufhin die rechtsseitige Lähmung glücklicherweise vollständig zurückgeht. Doch es folgen zwei weitere Schlaganfälle und weitere chirurgische Eingriffe. „Es war schrecklich zu spüren, wie uns die Zeit davonläuft“, sagt Ulrike Klawonn.
Doch eines Abends kommt Prof. Reichspurner mit der erlösenden Nachricht: „Emilia, wir haben ein Herz für dich!“ Die Gefühle der Zehnjährigen fahren Achterbahn. Zügig wird sie für die OP vorbereitet, während ein UHZ-Ärzteteam das Spenderherz per Hubschrauber abholt. Als Emilia zwei Tage spät wieder erwacht, schlägt ein neues Herz in ihrer Brust. Bereits sechs Wochen später darf sie nach sechseinhalb Monaten Klinikaufenthalt endlich wieder nach Hause und ist überglücklich. „Am leisten habe ich mich über mein neues Zimmer mit Hochbett und lila-grünen Wänden gefreut“, strahlt sie. Sie kann es kaum erwarten, ihre Freunde wieder zu treffen und die Großeltern an der Ostsee zu besuchen. Über ihrneues Herz denkt sie natürlich auch nach – ohne Angst und Vorbehalte. „Ich weiß, dass jemand gestorben ist. Aber was sollten sie mit dem Herzen im Himmel? Ich freue mich sehr, dass ich es bekommen durfte und damit weiterleben kann!“
Text: Nicole Sénégas-Wulf
Fotos: Axel Kirchhof