Brücken bauen
Was erhoffen sich Patient:innen von ihrer Therapie: die Heilung, eine Befreiung von den Schmerzen oder möglichst lange eine gute Lebensqualität? Und mit welcher Therapie kann das Ziel am besten erreicht werden? Im UKE steht das Thema „Patient:innenorientierung“ im Zentrum mehrerer Forschungsprojekte. Sie schaffen die Grundlagen für eine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen Patient:innen und Ärzt:innen.
„Leider läuft es noch nicht immer so, wie es wünschenswert wäre. Viele Ärzt:innen treffen Entscheidungen, ohne offen mit ihren Patient:innen über Behandlungsalternativen zu sprechen. Und das, obwohl ihnen die Interessen ihrer Patient:innen eigentlich sehr wichtig sind“, sagt Psychologin Dr. Isabelle Scholl, die im Institut und der Poliklinik für Medizinische Psychologie die Arbeitsgruppe „Patient:innenzentrierte Versorgung: Evaluation und Umsetzung“ leitet. Zu wenig Zeit für die einzelnen Patient:innen, häufig wechselnde Behandelnde und mangelnde Kommunikation im Team könnten den Prozess des gemeinsamen Entscheidens behindern. Um dieses Problem anzugehen, entwickelte Scholl mit ihrem Team ein Programm, das der gemeinsamen Entscheidungsfindung von Ärzt:innen und Patient:innen einen festen Platz im klinischen Alltag sichern soll.
Knappe Zeit und Organisationsmängel sind aber nur zwei Probleme, die das partnerschaftliche Planen einer Therapie erschweren: Heute sind deutlich mehr Behandlungsmöglichkeiten verfügbar als früher. Und auch das Wissen über Chancen und Risiken der verschiedenen Therapien wächst ständig. Kurz: Die Medizin ist insgesamt komplexer geworden. „Patient:innen und Ärzt:innen stehen vor einer Herausforderung: Es gibt verschiedene Behandlungsmöglichkeiten und aus medizinischer Sicht ist nicht immer eindeutig, ob in einem konkreten Fall Behandlung A besser passt als Behandlung B“, erklärt Psychologin Dr. Pola Hahlweg, Institutskollegin von Isabelle Scholl.
Schulung für Ärzt:innen
Ein Element des Programms sind Gruppenschulungen und Einzelcoachings für Ärzt:innen. Die Behandelnden sollen dabei lernen, durch bestimmte Gesprächstechniken eine gemeinsame Entscheidung zu unterstützen. Der Entscheidungsfindungsprozess dieses Gesprächs besteht Pola Hahlweg zufolge aus drei Bausteinen: Dem einleitenden „Team-Talk“– Wie wollen wir miteinander sprechen? – folgt der „Option-Talk“, bei dem Ärzt:innen vor allem darauf achten sollten, Behandlungsmöglichkeiten mitsamt der jeweiligen Chancen und Risiken zu benennen. „Wichtig dabei ist, den Patient:innen Raum für Rückfragen zu geben, Missverständnisse auszuräumen, nach Befürchtungen zu fragen und herauszufinden, was für die jeweilige Person wichtig ist“, erklärt die Psychologin.
Schließlich folge der „Decision-Talk“. Dabei werden zunächst die Präferenzen der Patient:innen bezüglich der Entscheidungsfindung erfragt, anschließend alle Behandlungsmöglichkeiten gemeinsam abgewogen und eine Entscheidung getroffen. Wie auch immer die Richtung der Behandlung bestimmt wird, die Grundlage solcher Entscheidungen sollten Fakten sein: objektive Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Studien, die die Folgen einer bestimmten Therapie wertneutral darstellen.
Das mag noch vergleichsweise einfach sein, wenn man beispielsweise die Überlebenszeiten von Krebspatient:innen betrachtet, die mit einem bestimmten Medikament behandelt wurden. Geht es aber „nur“ um die Verbesserung der Lebensqualität, wird die Aufgabe schwieriger. Priv.-Doz. Dr. Daniel R. Reißmann, Forschungskoordinator in der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik: „Wir entwickeln und untersuchen Verfahren, mit denen wir die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität messen können“, sagt er. Die einfache Frage „Wie geht es Ihnen?“ führe dabei nicht zum Ziel. „Man braucht Messinstrumente, die reproduzierbar sind und bei denen man genau weiß, was sie messen.“
Um die Lebensqualität abzubilden, gibt es Fragebögen, die einzelne Aspekte beleuchten (Haben Sie Schmerzen am Zahnfleisch? Wie gut können Sie kauen?), die zusammen ein umfassendes Bild ergeben. „Dank dieser Studien, die teils über zehn Jahre laufen, können wir zeigen, welche Verbesserung bei welcher Therapie – zum Beispiel bei Implantaten – zu erwarten ist“, sagt Daniel Reißmann. „Und diese objektiven Ergebnisse können wir Zahnärzt:innen und Patient:innen geben, damit sie diese bei ihrer Entscheidung berücksichtigen.“
Text: Arnd Petry
Fotos: Axel Heimken