„Wie eine Marionette, der man die Schnüre gekappt hat“

Reiner Haase, 61, Projektmanager aus Hamburg

„Mal wieder in Südtirol wandern, das wünsche ich mir. Hohe Gipfel müssen es nicht sein. Einfach nur bergauf, bergab, Luft und Landschaft genießen. Noch fehlt mir dafür der Atem. Aber ich arbeite intensiv daran, absolviere mehrmals wöchentlich in unserem Fitnesskeller ein Übungsprogramm, um meine frühere Lungenfunktion und Energie zurückzugewinnen.

Früher heißt: vor der COVID-19-Erkrankung. Im März 2020 hatte es mit Ohrenschmerzen begonnen. Ich war beim Hausarzt, alle Zeichen deuteten auf eine Mittelohrentzündung. Fieberschübe kamen hinzu, dann Atemprobleme. Meine Frau Cornelia – sie war ebenfalls infiziert, hatte zum Glück nur einen milden Verlauf – hat die Reißleine gezogen und den Rettungswagen gerufen. Was danach passierte, fehlt in meiner Erinnerung. Als ich aufwachte, war ich orientierungslos, konnte mich nicht richtig bewegen, nicht sprechen, das fühlte sich nicht gut an. Ich erfuhr, dass ich auf der COVID-19-Intensivstation des UKE bin, vier Wochen in künstlichem Koma lag, maschinell beatmet wurde, ein Luftröhrenschnitt nötig war.

Zwischenzeitlich stand es wohl sehr schlimm um mich: Zum Corona-Virus hatte sich eine schwere bakterielle Infektion der Lunge gesellt. Herpes, Gürtelrose, Vorhofflimmern kamen noch obendrauf. Meiner Frau hatte man am Karfreitag mitgeteilt, dass die Ärzte noch ein anderes Antibiotikum probieren wollten. Falls es binnen drei Tagen nicht besser werden würde, dürfte sie mich Ostermontag besuchen – um sich zu verabschieden… Das Mittel schlug zum Glück an, von da an ging es aufwärts.

Zwei weitere Wochen lag ich auf der Intensivstation, dort startete schon die Krankengymnastik. Anfangs kommt man sich vor wie eine Marionette, der man die Schnüre gekappt hat, so schwach sind die Muskeln. Auf der Normalstation habe ich dann bereits erste Schritte am Rollator gemacht, Mitte Mai konnte ich das UKE aufrecht verlassen und hatte es vorher sogar geschafft, mich ganz allein anzuziehen, eine Stunde dauerte das.

Da es zunächst keine passende Anschluss-Rehabilitation gab, sind meine Frau und ich so oft wie möglich an die Nord- oder Ostsee gefahren. Seeluft tut meiner Lunge spürbar gut. Ob ich je wieder auf 100 Prozent Leistung komme? Der Facharzt ist optimistisch – und ich bin ein Kämpfertyp, nicht nur beim Kung-Fu, das ich seit Langem betreibe.

Demnächst startet endlich die Kur in St. Peter-Ording, auf den Tag genau ein Jahr nach meiner Einlieferung ins UKE. Ich freue mich darauf und verspreche mir einen kräftigen Schub für die Gesundung. Noch bin ich schnell kurzatmig, huste recht oft. Außerdem habe ich Schwierigkeiten, mir Dinge zu merken und muss mir deshalb viel mehr aufschreiben als vor der Krankheit. Um vollständig gesund zu werden, braucht es schon noch einen langen Atem.

Meine Arbeit als Projektmanager bei einer Krankenkasse hatte ich im Juli wiederaufgenommen, zurzeit bin ich drei Tage die Woche im Homeoffice und einen Tag vor Ort in der Firma, wo ich vor 34 Jahren angefangen habe. Der Job macht mir Spaß, er ist spannend und abwechslungsreich, der Arbeitgeber ist klasse, die Kolleg:innen sind super. Und doch werde ich im kommenden Oktober in den vorzeitigen Ruhestand gehen. Meine Frau und ich haben dies gemeinsam entschieden. Ich hatte viele Lebensretter und ein Riesenglück, das habe ich begriffen. Wer weiß denn, ob ich eine zweite Chance bekomme, wenn es mich noch mal treffen sollte.“


Aufgezeichnet von: Ingrid Kupczik
Foto: Eva Hecht