Das Projekt FamBer

Die Untersuchung "Vereinbarkeit von Pflege und Beruf für Eltern mit einem pflegebedürftigen Kind" dient der Erstellung einer Expertise für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).

Ziel der Expertise ist, das Familienpflegezeitgesetz sowie weitere Gesetze, Regelungen und Angebote für Familien mit pflegebedürftigen, behinderten und/oder chronisch kranken Kindern auf ihre Eignung zu überprüfen und diese gegebenenfalls anzupassen und zu verbessern. Ein besonderer Fokus richtet sich dabei auf die Situation der betroffenen Familien durch die Covid-19-Pandemie, die bei vielen Familien zu teils existenziellen Krisen geführt hat. Über das tasächliche Ausmaß ist jedoch wenig bekannt.

Das BMFSFJ hat somit uns - das Kindernetzwerk e. V. (knw) und das Institut für Medizinische Soziologie (IMS) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) - beauftragt, eine entsprechende Expertise zu erstellen.

knw und IMS haben eine langjährige Kooperationserfahrung insbesondere durch die große "Kindernetzwerk-Studie" mit über 2.000 Familien (nähere Informationen unter "Über uns").

Hintergrund

Rund 3,4 Mio. Menschen sind in Deutschland pflegebedürftig im Sinne der Pflegeversicherung (Sozialgesetzbuch XI). Drei Viertel aller Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt, davon 1,76 Millionen in der Regel allein durch Angehörige. Auf der Grundlage einer Auswertung des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) für das Jahr 2017 geht man derzeit von etwa 4,8 Millionen Pflegenden aus, Hiervon sind etwa 2,5 Millionen erwerbstätig. Der Fokus bei pflegenden Angehörigen richtet sich in der Literatur und im gesellschaftlichen Diskurs vorrangig auf die Pflege eines älteren Menschen.

Aus dem ersten Bericht des unabhängigen Beirats für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf vom Juni 2019 ergibt sich jedoch, dass der Anteil der pflegebedürftigen Kinder im Vergleich zum Jahr 2015 um 41,4% auf 113.854 Kinder unter 15 Jahren gestiegen ist. Dies liegt jedoch nicht daran, dass sich die gesundheitliche Situation der Kinder verschlechtert hätte, sondern weil die Definition von Pflegebedürftigkeit in der Pflegeversicherung geändert wurde, sodass nun mehr versorgungsbedürftige Kinder als vorher Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung haben.

Pflegebedürftige Kinder werden fast ausnahmslos zu Hause versorgt, in der Regel durch die Mütter. Häufig führen die Behinderung oder Erkrankung eines Kindes auch zur Trennung der Eltern, was dann durch die alleinige Versorgung des zu pflegenden Kindes zu einer besonders hohen Belastung der dann meist alleinerziehenden Mütter führt.

Eltern von pflegebedürftigen, chronisch kranken oder behinderten Kindern werden zuvorderst in ihrer Rolle als (fürsorgepflichtige) Eltern gesehen, jedoch fast nie in ihrer Rolle als Pflegepersonen mit all den damit verbunden Belastungen und speziellen Bedürfnissen. Dies wiegt umso schwerer, da die Pflegebedürftigkeit eines Kindes oftmals einen viel höheren Komplexitätsgrad im Vergleich zur Pflegebedürftigkeit eines älteren Menschen aufweist. Zudem sind die pflegenden Eltern meist im erwerbsfähigen Alter und befinden sich in einer (berufs-)biografisch sehr entscheidenden Phase. Da die Pflege der Kinder mit der eigenen Erwerbstätigkeit vereinbart werden muss, befinden sich die Eltern in einer ganz besonderen Belastungssituation. Dabei ist der Unterstützungsbedarf u. a. je nach Entwicklungsstand, Alter und Familiensituation individuell zu betrachten und variiert zudem über den Lebensverlauf.

Die Corona-Krise verschärft dabei u. a. aufgrund der Schließung von Betreuungseinrichtungen sowie der Sorge um eine Ansteckung die bestehenden Doppelbelastungen nochmals in besonderem Maße. Dies verdeutlicht die Wichtigkeit von Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf für diese Gruppe von pflegenden Angehörigen.

Der rechtliche Rahmen der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf

Regelungen zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf finden sich insbesondere im Pflegezeit-gesetz und im Familienpflegezeitgesetz. In beiden Gesetzen ist etwa eine Freistellung für die auch außerhäusliche Betreuung von pflegebedürftigen minderjährigen nahen Angehörigen vorgesehen. Die Freistellung setzt eine Pflegebedürftigkeit mit mindestens Pflegegrad 1 vo-raus. Während der Freistellungen haben Beschäftigte einen Anspruch auf Förderung durch ein zinsloses Darlehen, das beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA). beantragt werden kann. Über Freistellungsmodelle hinaus sind Modelle zur Flexibilisierung der Arbeit sowie finanzielle Unterstützungen für die Pflegenden zentral für eine bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf für Eltern mit einem pflegebedürftigen Kind. Eine weitere wichtige Säule zur Unterstützung der betroffenen Familien stellt die Beratung dar.

Ziel der Untersuchung ist es, anhand der Auswertung bestehender Studien und Daten sowie einer Befragung auf Basis eines gemeinsam mit betroffenen Familien entwickelten Fragebogens die Situation und Bedarfe von Eltern mit einem pflegebedürftigen Kind zu ermitteln. Die Erkenntnisse der Expertise sollen bei der Entwicklung von Konzepten für die Weiterentwicklung der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf Berücksichtigung finden. Die Ergebnisse können zudem für die Arbeit des unabhängigen Beirats für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf genutzt werden.

A - Untersuchung und Beschreibung der Situation von Eltern mit einem pflegebedürftigen Kind aus der Perspektive der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf, insbesondere unter Berücksichtigung...

  • der Gleichstellungsthematik

  • im Lebensverlauf

  • hinsichtlich verschiedener Familienkonstellationen (z. B. alleinstehend, in Paarbeziehung)

  • unter Berücksichtigung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie

B - Ermittlung der Bedarfe der Eltern hinsichtlich der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf, insbesondere...

  • in Bezug auf Unterstützung durch Beratung und

  • den unter Punkt A genannten Aspekten


C - Ableitung von Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf für Eltern pflegebedürftiger Kinder, u. a. in Bezug auf...

  • zeitliche Unterstützung (z. B. Modelle zur Flexibilisierung der Arbeit oder Freistellungsmodellen)

  • finanzielle Unterstützung

  • Unterstützung in Form von Beratung



Methodik

knw und IMS führen gemeinschaftlich zu Beginn der Untersuchung und zum vorläufigen Ende (Ende November 2021) einen digitalen Expertenworkshop mit den Peer-Beraterinnen des knw durch. Die Peer-Beraterinnen haben als "Seismografen" einen umfassenden Einblick in die Sorgen und Probleme der ratsuchenden Familien bei entsprechender psychosozialer Expertise. Sie können daher wesentliche Hinweise darauf geben, ob in dem Fragebogen die Bedürfnisse und Bedarfe der Familien adäquat erfasst werden. Die Ergebnisse der Workshops dienen i) der Generierung relevanter Themen und Fragestellungen und ii) der gemeinschaftlichen Interpretation der gewonnenen Daten nach Durchführung des Surveys.

Rekrutierung

Das knw ist Dachorganisation von über 150 Elterninitiativen und Selbsthilfevereinen und verfügt über sehr gute Kommunikations- und Verteilersysteme, mit denen die betroffenen Familien erreicht werden können. Es besteht eine sehr gute Kooperation mit dem Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen (bvkm), der ebenfalls eine hohe Reichweite hat, und somit ebenfalls Familien mit einem pflegebedürftigen Kind zur Beteiligung aufrufen kann. Weitere Kanäle existieren aus der Kooperation mit dem aus dem Innovations-Fonds gefördertem Projekt "Stärkung und Entlastung von Familien mit pflegebedürftigen Kindern durch FamilienGesundheitsPartner (FGP) in regionalen NEtzwerk-STrukturen (NEST)", in dem sowohl knw (Dr. Mund) als auch das IMS (Dr. Lüdecke) aktive Konsortialmitglieder sind.

Bei der Rekrutierung ist zu berücksichtigen, dass zurzeit mehrere Studien mit der Zielgruppe "pflegebedürftige Kinder" mit teilweise mehreren Messzeitpunkten existieren. Dies kann zu einer Abnahme der Beteiligungsbereitschaft führen. Um dem entgegenzuwirken, sollte im Vortext des Fragebogens auf die Wichtigkeit der Erhebung hingewiesen werden. Die Erkenntnisse, die in der aktuellen Pandemie durch die Auswertung der Antworten gewonnen werden können, helfen in potentiell auftretenden weiteren Pandemien, besser reagieren zu können. Da die Pandemie aber auch wie ein "Brennglas auf Probleme" wirkt, treten bislang übersehene Probleme zu Tage und können dann ebenfalls für die Ableitung von Handlungsfeldern herangezogen werden. Über die oben genannten Kommunikationskanäle können theoretisch mehrere tausend Familien erreicht werden, dennoch schätzen wir auch aus den o. g. Gründen die Beteiligung eher vorsichtig auf 500 Eltern und/oder Erziehungsberechtigte. Eine deutlich höhere Beteiligung ist dabei nicht ausgeschlossen und somit ist unsererseits eine Fallzahlbegrenzung nach oben nicht vorgesehen.

Datenerhebung

Die Teilnehmenden können sich frei für eine anonyme Beteiligung entscheiden. Die Online-Datenerhebung erfolgt mit der Software Questback. Questback ermöglicht DSGVO-konforme Datenerhebungen und unterhält seine Server in Deutschland in zertifizierten Rechenzentren. Die teilnehmenden Eltern und/oder Erziehungsberechtigten erhalten über mehrere Kanäle einen Zugangslink zum Online-Fragebogen. Dies kann über Informationen und Beteiligungsaufrufe auf den jeweiligen Websites der relevanten Elterninitiativen, Selbsthilfegruppen oder Beratungsinstitutionen, per Mailing, über soziale Medien wie Facebook, Twitter oder Instagram erfolgen. Eine für die Studie eingerichtete Projekt-Homepage (nämlich diese hier) informiert über die Hintergründe, Sinn und Zweck, Datenschutz sowie Durchführende der Studie. Der Inhalt der Online-Umfrage ist hier als PDF zur Information und Voransicht abrufbar.

Die Einwilligung in die Beteiligung zur Studie und die Datenschutzerklärung erfolgen auf der Website, auf der sich der Fragebogen befindet. Auch hier kann der Fragebogen als PDF zur Voransicht heruntergeladen werden. Erst nach Einwilligungserklärung, welche durch einen Zustimmungs-Button erfolgt, kann der Zugang zum Online-Fragebogen erfolgen. Es werden nur diejenigen Cookies zugelassen und gesetzt, die eine Wiederaufnahme der Umfrage ermöglichen, z. B. wenn die Bearbeitung des Fragebogens oder die Internetverbindung unterbrochen wurde. Es wird kein Tracking eingesetzt. IP-Adressen werden nicht erhoben und gespeichert.

Der Fragebogen wird in einem Responsive Design angelegt, das heißt, die Bearbeitung der Online-Umfrage kann sowohl am PC als auch auf einem Tablet oder einem Smartphone erfolgen.

Datenbereinigung und -aufbereitung

Die Erhebungssoftware stellt die Umfragedaten in verschiedenen Datenbankformaten zur Verfügung. Eine händische Dateneingabe ist somit nicht erforderlich. Als Statistiksoftware für die Auswertung kommt SPSS ab Version 26 zum Einsatz. Eine Nachkodierung und/oder Kategorisierung ist erforderlich für die Freitextantworten und einige Freitextfelder unter "sonstige, und zwar: ". Diese Aufgaben übernehmen studentische Hilfskräfte des IMS. Die Rekodierungen von invers gepolten Variablen, die Berechnung von Skalenwerten und Indizes sowie mögliche Imputationen übernehmen die Wissenschaftler Nickel und Kofahl. Alle Schritte erfolgen per Syntax und sind somit dauerhaft dokumentiert und von anderen Personen nachvollziehbar. Variablen, die in der Kombination mit anderen Variablen das Risiko einer Personenidentifikation in sich bergen, werden entweder vergröbert oder vollständig entfernt. Freitexte und Kommentierungen werden nach den Grundsätzen des Persönlichkeits- und Datenschutzes vollständig anonymisiert (Namen, Ortsangaben, besondere Ereignisse/Situationen).

Datenauswertung

Die Datenauswertung erfolgt im ersten Schritt primär deskriptiv und münden in einen Ergebnisbericht. Untergruppenvergleiche wie z. B. Alleinerziehende vs. Elternpaare, Familien in (Groß-)Städten vs. ländliche Räume, Erwerbstätige vs. Erwerbslose etc. erfolgen mittels Mann-Whitney U-Tests oder Chi2-Tests. Mittels multivariater binärlogistischer und ggf. linearer Regressionen werden Risikofaktoren für z. B. Gesundheit, Lebensqualität, empfundene Belastung oder prekäre wirtschaftliche Situation herausgearbeitet. Im besonderen Fokus stehen hier die Erwerbsbedingungen und -möglichkeiten vor dem Hintergrund der Betreuungsnotwendigkeiten für die pflegebedürftigen Kinder. Alle statistischen Prüfungen/Testungen erfolgen grundsätzlich zweiseitig auf dem allgemein üblichen Alpha-Niveau von 5% bzw. Konfidenzintervallen von 95%.

Ergebnisse

Als Querschnittsstudie kann der Survey nur deskriptive Ergebnisse und Assoziationen/Korrelationen liefern, Letztere jedoch auch in multivariaten, das heißt mehrfaktoriellen Analysen und Confounder-Kontrollen. Da keine Kontrollgruppe im engeren Sinne zur Verfügung steht, sollen die Befragungsergebnisse mit Daten aus dem sozio-ökonomischen Panel (SOEP) des DIW Berlin abgeglichen werden. Dazu zählen z. B. Angaben zur Haushaltsstruktur, Elternschaft pflegebedürftiger Kinder und Jugendlicher sowie zur beruflichen, zeitlichen und finanziellen Situation der Betroffenen. Erwartet wird, dass sich aus diesem Vergleich weiterführende gesellschafts- und fachpolitische Implikationen ableiten lassen.

Konzept zur fachpolitischen Unterstützung

Auf Basis der gewonnenen Ergebnisse sind verschiedenen Themenkomplexe für die fachpolitische Beratung zu erwarten. Zum einen sind dies grundsätzliche (zusätzliche) gewünschte oder geforderte Leistungen für die betroffenen Familien vor dem Hintergrund der Inanspruchnahme oder Nicht-Inanspruchnahme der bestehenden Unterstützungsangebote insbesondere durch das SGB. Zum anderen werden Fragen der Hilfestellung durch Beratung, Wissensvermittlung, System-Navigation etc. zu diskutieren sein. Ein wesentlicher Aspekt wäre ein systematischer Abgleich des Einkommensausfalls durch Pflege- und Betreuungsnotwendigkeiten gegenüber den möglichen Kosten durch professionelle pflegerische Unterstützung oder Betreuung durch Dritte. Die Ergebnisse einer solchen Analyse sind bedeutsam sowohl für die betroffenen Familien selbst als auch für die politischen Entscheidungsprozesse.

Die Beratungen und Abwägungen werden sich vermutlich an den Leistungsfähigkeitsgrenzen der sozialen Sicherung entlangbewegen sowie an der Frage der Eingrenzung auf die Familien mit pflegebedürftigen Kindern und der Abgrenzung zu anderen Familien mit pflegebedürftigen Mitgliedern. Für diese Fragestellungen bedarf es u. E. einer hohen sozial- und verfassungsrechtlichen Expertise, die in ein entsprechend zu entwickelndes Konzept zur fachpolitischen Unterstützung einzubinden wäre.