HANNES lässt tief blicken
Präzision ist bei einer Behandlung im Gehirn lebenswichtig. Erlangt wird sie durch regelmäßiges Üben. HANNES, das Modell aus dem 3D-Drucker, ist für die Feinarbeit der Expert:innen ausgesprochen wertvoll.
Text: Katja Strube, Fotos: Axel Kirchhof
DIE VISION: SICHERE KATHETERBEHANDLUNGEN OHNE TIERVERSUCHE
Wissen: Für Katheterbehandlungen im Gehirn ist Fingerspitzengefühl und Übung nötig
Forschen: Wie lässt sich per 3D-Druck ein realitätsnahes Modell menschlicher Gefäße erzeugen?
Heilen: Patient:innen profitieren von der am Modell erprobten Katheterbehandlung
Ein Aneurysma der Hirnarterien kann zu einer lebensgefährlichen Hirnblutung führen. Häufig werden solche ausgesackten Gefäße durch einen Katheter behandelt, der von der Leiste aus durch die Hauptschlagader bis ins Gehirn geschoben wird. „Es bedarf Fingerspitzengefühl, einen derartigen Eingriff routiniert durchzuführen“, erläutert Dr. Marie Teresa Nawka aus der Diagnostischen und Interventionellen Neuroradiologie. Um den Katheter durch die filigranen Gefäße zu führen, ohne sie zu beschädigen, müssen die behandelnden Ärzt:innen genau wissen, wie sie das Röhrchen von außerhalb des Körpers dirigieren können.
Computerprogramm ist die Basis von HANNES
Früher wurde die Methode an Schweinen geprobt. Auf Tierversuche wollen UKE-Wissenschaftler:innen seit langem so oft wie möglich verzichten. In diesem Fall hat ein Projektteam aus Neuroradiolog:innen des UKE, Medizintechniker:innen sowie IT-Expert:innen der TU Harburg einen künstlichen Patienten entwickelt: HANNES (Hamburger Anatomisches NeuroEndovaskuläres Simulationsmodell) heißt der Prototyp. Grundlage für das Gefäßmodell ist ein aufwendig entwickeltes Computerprogramm, das aus vorliegenden Angiographie-Bildern dreidimensionale Druckvorlagen erzeugt. Je nach Größe dauert der Druck eines Gefäßmodells bis zu 14 Stunden, die verschlungenen Gefäße stehen dann auf einer Stützstruktur. „Ein mit dem 3D-Drucker erstelltes Modell sieht ein bisschen aus wie eine Achterbahn auf ihrer Unterkonstruktion“, sagt Dr. Nawka. Diese Stützkonstruktionselemente müssen dann einzeln abgeknipst werden – eine aufwendige Handarbeit.
Inzwischen gibt es 30 verschiedene Modelle
Die beste Behandlungsmethode, je nach Lage des Aneurysmas und der Größe der Aussackung, kann nun vor der tatsächlichen Operation mit einem Modell aus dem 3D-Drucker erprobt und geübt werden. Inzwischen gibt es rund 30 verschiedene Gehirnmodelle für HANNES. „Wir berücksichtigen dabei nicht alle Gefäße, das wäre drucktechnisch nicht möglich, sondern konzentrieren uns auf die Hauptabzweige. Am Auge etwa muss man besonders vorsichtig sein, um die Blutversorgung nicht zu gefährden“, so die Ärztin. Das Material für die Gefäßmodelle und die Modellsubstanz, die bei HANNES das Blut ersetzt, wurden im Projektteam lange getestet, um eine realitätsnahe Situation zu schaffen.
Auch Schlaganfall-Behandlungen können mit dem künstlichen Patientenmodell erprobt werden: Das Projektteam COSY-SMILE (COmpletely SYnthetic Stroke Model for Interventional DeveLopment and Education) hat dafür künstliche Hirnblutgefäße mit verschiedenen Komplexitätsgraden, Gefäßengstellen und synthetischen Thromben entwickelt. „Damit können wir eine sehr realistische Simulationsumgebung für die Schlaganfallbehandlung erzeugen, zu der beispielsweise synthetische Blutgerinnsel mit unterschiedlichen Härtegraden und komplexe Gefäßanomalien gehören“, erläutert die Neuroradiologin Dr. Helena Guerreiro. Die Blutgefäße kommen aus dem 3D-Drucker, Tierversuche sind auch hier nicht mehr nötig.
Viele weitere Einsatzmöglichkeiten denkbar
HANNES wurde bis heute rund 100 Mal zur Schulung von Neuroradiolog:innen und weiteren behandelnden Ärzt:innen eingesetzt. „100 Eingriffe, für die kein Tier sterben musste“, sagt Dr. Marie Teresa Nawka. Das Ziel, Tierversuche bei der katheterbasierten Behandlung von Hirnaneurysmen zu vermeiden, ist im UKE damit bereits umgesetzt. Adaptionen des Modells für andere Gefäßerkrankungen wie Stenosen, Engstellen von Gefäßen am Hals, die aber auch im Gehirn auftreten können, oder Gefäßverstopfungen, die zu Schlaganfällen führen können, sind bereits erfolgt. Für HANNES gibt es weitere Einsatzmöglichkeiten: Individuelle Modelle für Hirnaneurysmen oder auch für komplexe Gefäßanomalien sind denkbar.
Weitere Informationen zur Forschung in der Neuroradiologie finden Sie unter www.uke.de/forschung-neuroradiologie
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