Im Notfall füreinander da sein
Pflegekräfte auf Intensivstationen und in Notaufnahmen sind besonders gefordert – sowohl körperlich wie emotional. Das war auch schon vor der Corona-Pandemie so. Um insbesondere die psychische Belastung von Pflegekräften aufzufangen, bieten speziell geschulte UKE-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter ihren Kolleginnen und Kollegen in sogenannten Peer-Beratungen schnelle Hilfe an.
Für den jungen Intensivpfleger ist es die Notoperation eines 16-jährigen Mädchens direkt auf Station, deren Bilder ihn bis in den Schlaf hinein verfolgen. Für seine Kollegin aus der Zentralen Notaufnahme die gescheiterte Reanimation eines Familienvaters, die sie nicht mehr loslässt. Auch die Begegnung etwa mit übergriffigen Patienten kann für die Pflegenden eine große seelische Belastung darstellen. „Natürlich sind wir in der Intensivpflege an Extremsituationen gewöhnt und haben auch Ressourcen, damit umzugehen“, erklärt Silvia Angelstein, Peer-Beraterin und pflegerische Leiterin von zwei Intensivstationen im UKE. Doch es gibt Momente, in denen der eigene innere Widerstand gegen das Schicksal von Patienten oder Angehörigen einfach nicht mehr ausreicht. „In solchen akuten Stresssituationen ist es wichtig, Kollegen und Kolleginnen einen Ansprechpartner zu bieten, bei dem man rasch und unkompliziert Hilfe findet,“ so die Stationsleiterin.
Mit dem Projekt „Stress- und Traumaprävention für UKE-Beschäftigte“, das in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie unter Leitung von Prof. Dr. Ingo Schäfer entwickelt wurde, hat das UKE ein Unterstützungsprogramm geschaffen, das sich an akut belastete Beschäftigte in klinischen Bereichen richtet. Das Prinzip ist ganz einfach: „Peer-Beratung ist ein Gesprächsangebot von Kolleginnen und Kollegen, das auf Augenhöhe stattfindet“, erläutert Dipl.-Psychologe Christian Hannig und Mitinitiator des Programms. Die Begegnung auf Augenhöhe sei deshalb so wichtig, weil sie die Hemmschwelle senke, die eigene Not zu offenbaren und gemeinsam Lösungen zu finden. Seit 2018 bildet die AG Stress und Trauma der Klinik für Psychiatrie Peer-Beraterinnen und -berater für das UKE aus. Die Techniker Krankenkasse unterstützt das Projekt unter dem Dach von UKE INside (beschäftigtenorientierte Personalpolitik des UKE) seit 2019 neben anderen betrieblichen Gesundheitsmanagement-Programmen mit insgesamt rund 2,5 Millionen Euro. Weitere 125.000 Euro gab es 2020 von der TK, um das Projekt auf Ärztinnen und Ärzte auszuweiten. Darüber hinaus sind von UKE INside weitere Angebote für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in besonderen Belastungssituationen eingerichtet worden.
Hilfe! Ein Anruf genügt
Wie wichtig es ist, die psychische Gesundheit der Beschäftigten im Blick zu behalten, zeigt sich gerade auch in der Corona-Pandemie. „Mit COVID-19 hat der Druck auf die Pflegenden zugenommen und damit auch der Gesprächsbedarf einiger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, berichtet Ulrike Mühle. Die Gesundheitswissenschaftlerin, die gleichfalls in der Intensivpflege arbeitet, koordiniert das Peer-Projekt im Zentrum für Anästhesiologie und Intensivmedizin. Besonders belastend ist das isolierte Arbeiten auf den COVID-Intensivstationen. „Alle COVID-19-Patientinnen und -Patienten benötigen eine durchgängige Überwachung durch eine Pflegekraft“, so Mühle. Der so wichtige Austausch mit Kolleginnen und Kollegen auf Station falle dadurch weg, und auch brenzlige Situationen müssten erstmal allein bewältigt werden. „Bis eine Ärztin oder ein Arzt sich die Schutzkleidung anzieht und das Zimmer betritt, vergehen zwar maximal nur einige Minuten. Doch im Notfall können diese wie eine Ewigkeit wirken und großen psychischen Stress auslösen“, weiß die Peer-Koordinatorin. Bedingt durch das Besuchsverbot erweist sich auch die Betreuung von Angehörigen derzeit als emotional schwierig. „Über den pflegerischen Zustand der Patienten am Telefon zu berichten, ohne dass die Angehörigen ein Bild dazu haben, empfinden viele Kolleginnen und Kollegen gerade als große Belastung.“
Was tun, wenn einem eine Situation trotz aller Routine und Professionalität plötzlich über den Kopf wächst? „Ein Anruf genügt“, sagt Silvia Angelstein. „Wir Peer-Beraterinnen und -Berater haben ein Notfall-Telefon, das wir rotieren lassen, sodass immer jemand erreichbar ist.“ Unterstützung ohne Umwege lautet die Prämisse. Auch deshalb dauert ein Peer-Gespräch höchstens eine Dreiviertelstunde und findet vertraulich statt. „Es geht vor allem darum, zuzuhören und die Betroffenen darin zu unterstützen, sich aus ihrer inneren Problemlage zu befreien“, erklärt Angelstein, die sich ihr Know-how in einer dreitägigen Peer-Schulung innerhalb des Projekts aneignete. „In Seminaren führen wir die Teilnehmenden in unterstützende Gesprächstechniken ein und vermitteln ihnen Grundlagen der Stresspsychologie sowie der psychosozialen Notversorgung“, erklärt Peer-Ausbilder Hannig. „Zudem erläutern wir weitere inner- und außerbetriebliche Unterstützungsmöglichkeiten, zu denen Peers bei Bedarf weitervermitteln können.“ Bislang wurden über 30 Pflegende aus Notaufnahme, Intensivmedizin, Anästhesie und Kinderklinik als Peer-Beratende ausgebildet. Weitere sollen dort und in weiteren Klinikbereichen folgen.
Positive Auswirkungen aufs Team
Der kurze Weg zur Hilfe über die Peers hat sich auch innerhalb der Teams positiv auf die Gesprächskultur ausgewirkt. „Die Bereitschaft, sich über Erlebtes auszutauschen, ohne zu befürchten, es könnte als Schwäche ausgelegt werden, hat zugenommen“, berichtet Intensivpflegerin Mühle. „Es sind genau diese Gespräche unter Kollegen, durch die wir uns gegenseitig auffangen können.“ Dafür wollen sich die Peers auch in Zukunft weiter engagieren und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu ermuntern, seelische Belastungen und Stress aus ihrem Berufsalltag mit anderen zu teilen.