Ein Käppi gegen Parkinson
Für die Therapie von Patient:innen mit neurodegenerativen Erkrankungen entwickelt das Institut für Angewandte Medizininformatik smarte Tools. Anhand der Daten, die über die KI-Systeme gewonnen werden, können Krankheitssymptome künftig zielgerichteter behandelt werden.
Text: Katja Strube, Fotos: Axel Kirchhof
Sie sieht aus wie eine ganz normale Schirmmütze. Doch in dem Gewebe des am 3D-Drucker erzeugten Caps steckt modernste Technologie. Christopher Gundler, Teamleiter „Angewandte KI im Gesundheitswesen“ am Institut für Angewandte Medizininformatik des UKE, dreht die Kappe um und deutet auf die kleine Kamera, die an die Schirmunterseite geklettet ist und beim Tragen Daten aufzeichnet. „Der Gesichtsausdruck kann bei Parkinson*-Erkrankten wie versteinert wirken“, erläutert er, „solche sogenannten Hypomimien können wir mit diesem Käppi erfassen, die Häufigkeit des Auftretens sowie die Symptomschwere messen.“
Aktuell leben rund 400 000 Menschen in Deutschland mit der Parkinson-Erkrankung, die meisten trifft es im Alter zwischen 60 und 70 Jahren. An der Klinik für Neurologie nutzen Priv.-Doz. Dr. Monika Pötter-Nerger und ihre Kolleg:innen verschiedene Behandlungsmethoden bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson und entwickeln diese stetig weiter. „Anfangs kann die Parkinson-Krankheit sehr gut behandelt werden durch die Substitution des fehlenden Dopamins in Form von Tabletten, sodass eine gleichmäßig gute Beweglichkeit über den Tag erzielt werden kann“, erläutert die Neurologin. Im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit jedoch kommt es zunehmend zu Schwankungen der Beweglichkeit über den Tag, mit erneuten Phasen der Bewegungsarmut, Muskelverkrampfungen und Schmerz trotz regelmäßiger Einnahme der Medikation. Umgekehrt können paradoxerweise auch Phasen einer Überbeweglichkeit auftreten, in der die Patient:innen unwillkürliche, tänzelnde Bewegungen zeigen. Bei diesen Schwankungen zwischen „zu wenig“ und „zu viel“ an Bewegungen gestalte sich die Anpassung der Therapie schwierig, so Dr. Pötter-Nerger.
Daher arbeiten sie und ihre ärztlichen Kolleg:innen gemeinsam mit dem Team des Instituts für Angewandte Medizininformatik unter der Leitung von Prof. Dr. Frank Ückert daran, die Therapiemöglichkeiten zu optimieren. „Es geht insbesondere darum, möglichst viele aussagekräftige Daten zu der Erkrankung zu generieren“, so Prof. Ückert. „Die Herausforderung aufseiten der Medizininformatik besteht darin, diese Daten dann zusammenzuführen und miteinander auszuwerten.“
Während die „Smart Textile“-Kappe bei ersten Patient:innen Daten zur Mimik aufzeichnet, können Smartwatches am Handgelenk mittels einer speziellen Software dazu genutzt werden, motorische Symptome wie einen krankheitsbedingten Tremor der Hand oder ein Zappeln, das auch bei Überdosierungen der Medikamente auftreten kann, zu messen. Ein eigens designtes Device, eine „Schmerzuhr“, soll qualitative Auskünfte über nichtmotorische Symptome wie Schmerzen und Zittern liefern. Mithilfe einer innovativen Symptomtagebuch-App für Smartphone oder iPad sollen zuverlässige Angaben dazu gesammelt werden, zu welchen Tageszeiten Ausfälle und Schmerzen verstärkt auftreten. Vor allem auch, um genaueren Aufschluss über die Zeit zwischen den Arztterminen alle drei Monate zu erhalten, sollen die neuen KI-Tools objektive Messdaten zur Beweglichkeit der Patient:innen über längere Zeiträume liefern.
Bereits aktuell verbessern sich die Behandlungsmöglichkeiten für die Parkinson-Erkrankung stetig, sagt Dr. Pötter-Nerger. „Wenn wir die Therapie mit sensorgesteuerten Systemen wie der Tablettenstärken-Anpassung per 3D-Drucker kombinieren, erreichen wir eine individualisierte, optimierte Medikamentenanpassung.“ Auch für die Steuerung einer „elektrischen“ Therapie, der Tiefen Hirnstimulation (THS), bei der über zwei hauchdünne Elektroden tiefliegende Gehirnareale stimuliert werden, könnten die Zeit- und Bewegungsdaten genutzt werden. Über standardisierte Datenformate, Mikrocontroller und 3D-Druck könnten die heutigen Therapieansätze weiter individualisiert werden und die sogenannten Wirkfluktuationen – das Pendeln der Patient:innen zwischen guter und schlechter Beweglichkeit – vermindern.
Die Reaktionen der Patient:innen auf die bisher im Test befindlichen Tools seien durchweg positiv, sagt Parkinson-Expertin Dr. Pötter-Nerger: „Die Patient:innen stehen diesem Thema sehr offen und neugierig gegenüber, die Begeisterung für die technischen Neuerungen ist groß.“ Die Neurologin hofft, schon in naher Zukunft neue Behandlungspläne auf Basis der neu generierten Daten erstellen zu können. Christopher Gundler und sein sechsköpfiges Team im Institut für angewandte Medizininformatik haben bereits erste Daten der Parkinson-Patient:innen analysiert. „Aus der Auswertung der Smartwatch-Daten konnten etwa Phasen im Tagesablauf mit Dyskinesien, den tänzelnden Überbewegungen, identifiziert werden“, so Dr. Pötter-Nerger, „in diesen Phasen würde man die Medikation künftig reduzieren.“