„Für das Leben ist mir kein Weg zu weit“
Glück bedeutet für den New Yorker Arie Schwartz, wenn man immer wieder eine Chance erhält. Dreimal kehrt der Prostatakrebs nach der ersten Diagnose 1998 in seinen Körper zurück. Die Möglichkeit, ihn in den Griff zu bekommen, findet er schließlich in Deutschland. Genauer gesagt in der Martini-Klinik, wo dank eines einzigartigen Verfahrens neue Krebsherde sicher aufgespürt und entfernt werden können.
Sechs Babys hat Dr. Arie Schwartz in den 24 Stunden vor seinem Flug nach Hamburg auf die Welt gebracht. Mit fast 71 Jahren scheint der Gynäkologe, der in einer großen New Yorker Geburtsklinik tätig ist, ans Aufhören nicht mal zu denken.„Warum sollte ich? Ich liebe meinen Beruf und solange ich fit bin, mache ich weiter“, sagt er. Weitermachen, sich nicht unterkriegen lassen und offen sein für neue Optionen – mit dieser Denkweise gelang es Arie Schwartz auch, seinem Prostatakrebs immer wieder den Kampf anzusagen.
Zum ersten Mal fordert ihn der Krebs 1998 heraus. Arie Schwartz ist gerade 47 Jahre alt. „Das war ein Schock. Ich stand doch mitten im Leben, unsere vier Kinder waren noch jung und brauchten ihren Vater.“ Der Arzt hält kurz inne, seine lächelnden Augen blicken sorgenvoll. „Mein Urologe handelte damals sehr schnell und überwies mich in die Columbia-Uniklinik, wo eine radikale Prostatektomie durchgeführt und die Prostata vollständig entfernt wurde. Anschließend hatte ich neuneinhalb Jahre Ruhe.“ Doch dann meldet sich die Krankheit zurück.
Mit 56 Jahren beginnt der Krebs ein makabres Versteckspiel mit Arie Schwartz. Immer wieder tauchen neue Herde auf. Auch Operationen und Strahlentherapien können das PSA (Prostataspezifisches Antigen) – ein in der Prostata enthaltenes Eiweiß, das bei Krebspatienten rasch ansteigt – nicht zügeln. Irgendwo steckte er noch, der Krebs. Das war sicher. Aber wo? Auf den CT-Bildern ist er nie eindeutig auszumachen. Als die New Yorker Spezialisten nicht mehr weiter wissen, werden Schwartz medikamentöse Hormontherapien verordnet. „In dieser Zeit verlor ich 40 Prozent meiner Muskelmasse, fühlte mich schlapp und vollkommen antriebslos. So wollte ich nicht leben.“ Schwartz entscheidet, die Therapie abzubrechen, und hat Glück: Drei Jahre lässt ihn die Krankheit in Frieden. Für ihn die schönste Zeit. „Ich genoss meine Familie, meine Kinder und Enkel in vollen Zügen. Als das Versteckspiel dann von Neuem losging, schwor ich mir, den verdammten Krebs aus der Deckung zu locken.“
Für diese Kampfansage reisen Arie Schwartz und seine Frau um die ganze Welt. 2017 geht es zunächst nach Israel in eine Klinik, die den in den USA damals noch nicht zugänglichen PSMA-PET-Test durchführt – eine nuklearmedizinische Diagnostikmethode, die verborgene Metastasen nach einem Rückfall sichtbar machen soll. Dazu wird das Eiweiß PSMA, das sich an der Oberfläche von Prostatakrebszellen befindet, mit einem speziellen radioaktiven Teilchen markiert, das die Krebszellen später am Bildschirm aufleuchten lässt. Die israelischen Ärzte werden tatsächlich fündig und entdecken einen Lymphknoten im Beckenbereich. Doch dann die bittere Ernüchterung: Weder die Israelis noch die Ärzt:innen in den USA verfügen über die notwendige Therapietechnik, um das befallene Gewebe auch gezielt entfernen zu können.
Keine Aussicht auf Heilung, obwohl der Krebs endlich aufgespürt war? Für Arie Schwartz und seine Frau kommt das nicht in Frage. Sie gehen im Internet selbst auf die Suche nach Therapiemöglichkeiten und stoßen dabei auf einen Fachartikel über die Weiterentwicklung der PSMA-Diagnostik als Therapieoption von Prof. Tobias Maurer, der damals noch als leitender Oberarzt an der Klinik für Urologie der Technischen Universität München tätig ist und seit 2018 zum Leitungsteam der Martini-Klinik gehört.
Das Ehepaar Schwartz erfährt, dass mithilfe der von Prof. Maurer mitentwickelten Operationstechnik, die sich „PSMA-radioguided surgery“ nennt, selbst winzige Metastasen sicher entdeckt werden können. Dafür spritzen die Ärzte dem Erkrankten am Vortag der OP erneut radioaktiv markierte Teilchen, die sich an den einzelnen Prostatakrebszellen anlagern. Am nächsten Tag gehen die Chirurgen mit einer Gammasonde über das Operationsfeld. Beginnt die Sonde zu vibrieren, befinden sich darunter Krebszellen, die punktgenau entfernt werden. „Ein geniales System – hochpräzise, ohne lange im geöffneten Bauchraum nach kleinen Tumorherden suchen zu müssen. Ich bin bis heute zutiefst beeindruckt von dieser Operationsmethode und überglücklich, dass ich die Chance hatte, sie zu nutzen“, sagt der 71-Jährige.
Und das gleich zweimal. Nachdem in München 2017 alle Metastasen gefunden und entfernt werden können, meldet sich der Krebs mit erhöhten PSA-Werten 2021 ein drittes Mal zurück. Schwartz reist auf Empfehlung von Prof. Maurer für den PSMA-PET-Test quer durch die Vereinigten Staaten bis nach San Francisco. Das Ergebnis: zwei neue Lymphknoten. „Prof. Maurer reagierte sofort – drei Wochen später war ich in Hamburg. Gestern wurde ich operiert und sitze heute schon wieder vor Ihnen“, sagt Arie Schwartz während des Interviews und strahlt.
Ein Jahr ist die Behandlung jetzt her. Das New Yorker Ehepaar ist dankbar und glücklich, mit der Martini-Klinik eine sichere Anlaufstelle gefunden zu haben, um dem Krebs – sollte er noch einmal zurückkehren – immer wieder die Stirn bieten zu können. Für die Zukunft hat Arie Schwartz noch viel vor. Vor allem möchte er die Zeit mit seiner Familie genießen und so gern seine Enkel groß werden sehen. Den Krebs behält er dabei genau im Visier. „Ich kontrolliere regelmäßig meinen PSA-Wert im Blut. Sollte er erneut steigen, dann weiß ich ja, wo ich Hilfe finde.“ Für das Leben ist Arie Schwartz eben kein Weg zu weit.