Nichts ist alltäglich
Wie sieht der Alltag auf einer UKE-Intensivstation aus? Was bewegt die Pflegenden, was bewegen sie mit ihrer Arbeit? Gunda Hans ist Pflegefachfrau für Intensivpflege und Anästhesie
und seit fast zehn Jahren im UKE. Die 32-Jährige gibt Einblick in ihre Erfahrungen, Erlebnisse, Emotionen.
Zwei ganz normale Schichten auf der Intensivstation 1H – eine Nacht-, eine Frühschicht. In einem persönlichen Protokoll schildert Gunda Hans, wie sie ihre Dienste erlebt.
„Nickerchen im Nachtdienst? Das ist nicht drin. Ob Ärzt:in oder Pflegende, auf der Intensivstation bist du durchgehend auf den Beinen. Unsere Patient:innen sollen aber eine gute Nacht haben, das ist auch wichtig für ihre Genesung. Ich arbeite auf der 1H, einer interdisziplinären Intensivstation, zu der 43 Pflegefachpersonen gehören; neben dem ärztlichen Personal sind Ergo-, Logo- und Physiotherapeut:innen fest mit unserem Team verbunden. Wir überwachen und versorgen Patient:innen nach größeren Operationen, etwa an der Lunge,der Bauchspeicheldrüse oder nach einer Tumor-OP. Manche kommen auch nach kleineren Eingriffen erst zu uns, wenn sie an einer schweren Vorerkrankung wie Diabetes, einem Nierenschaden, einer Lungenentzündung oder Herzschwäche leiden. Unser Ziel ist es, die Patient:innen so fit zu machen, dass sie auf die Normalstation verlegt werden können.
Seit zwei Jahren erschwert Corona unsere Arbeit. Wir haben personelle Engpässe, wenn langjährige Kolleg:innen unsere Station verlassen. Ihre Expertise lässt sich nicht so einfach ersetzen. Natürlich strengt es auch an, den ganzen Tag mit der FFP2-Maske im Schnelltempo unterwegs zu sein. Aber ich will nicht meckern, denn ich weiß aus Erfahrung, wie viel anstrengender es für Kolleg:innen ist, die auf der COVID-Intensivstation in aufwändiger Schutzausrüstung arbeiten. In der ersten Welle der Pandemie war ich dort einen Monat lang im Einsatz.
Ungewöhnlich ruhig ist diese Nachtschicht Anfang Januar. Mit drei Intensiv-Pflegenden, einer Kollegin in der Einarbeitung und einem Arzt überwachen wir acht Patient:innen. Zwei Fachärzte sowie eine Oberärztin leisten Hintergrunddienst, sie stehen im Notfall auf Abruf bereit. Bei der Übergabe durch den Spätdienst gegen 21 Uhr hat sich unser Team, wie bei jedem Schichtwechsel, über den Zustand der Patient:innen ausgetauscht, Details der Pflege erörtert und die Arbeit aufgeteilt. Ich übernehme drei Patient:innen: Ein älterer Herr schläft bereits, ebenso ein junger Mann, der seit dem Säuglingsalter geistig schwerbehindert ist. Er kam mit einer Lungenentzündung zu uns und muss künstlich beatmet werden.
Meine dritte Patientin, um die 60 Jahre alt, ist putzmunter und gesprächig. Vor acht Tagen war sie aus einer kleineren Klinik ins UKE überwiesen worden und nicht ansprechbar. Sie hatte eine bakterielle Entzündung im Pleuraspalt zwischen Lunge und Brustwand entwickelt, stand kurz vor einer Blutvergiftung. Als wäre diese Frau nicht schon genug belastet: Infolge einer Chemotherapie, mit der ihre Krebserkrankung erfolgreich behandelt worden war, wurden ihre Nieren schwer geschädigt. Seitdem benötigt sie alle drei Tage eine Dialyse.
Auf unserer Station konnte die Entzündung an der Lunge mit einem Antibiotikum erfolgreich behandelt werden. Als ich der Patientin meinen Eindruck von ihrem gesundheitlichen Fortschritt schildere, freut sie sich. Noch am selben Abend möchte sie sich selbstständig auf die Bettkante setzen. Ich unterstütze sie, indem ich die Monitorkabel halte, mit denen sie verbunden ist. Wer gesund ist, kann kaum erahnen, was dieses Sitzen für die Betroffenen bedeutet. Meiner Erfahrung nach bewirkt es oft auch einen Perspektivwechsel nach innen.
Apropos Perspektivwechsel: In der 11. Klasse hatte ich ein Betriebspraktikum im Kreiskrankenhaus meiner Heimatstadt Nordhorn. Drei Wochen lang habe ich überwiegend Essen ausgegeben und über Pflege wenig gelernt. Danach war klar: Pflege, nein danke! Ich hatte allerdings ein schönes Erlebnis mit einer älteren Dame, die große Angst vor der unmittelbar bevorstehenden Operation hatte. Da stand ich ihr so lange bei, bis sie in andere Hände kam. Später hat sie sich herzlich bedankt und gemeint, ich sollte mir das mit der Pflege doch noch mal überlegen, der Beruf würde sehr gut zu mir passen…
Nach dem Abitur hätte ich gern Medizin studiert, mein Notenschnitt gab das aber nicht her. So habe ich mich, die Worte der Dame aus Nordhorn noch im Ohr, dem Pflegeberuf zugewandt. Goldrichtige Entscheidung! Nach dreijähriger Ausbildung in Oldenburg bewarb ich mich 2012 im UKE. Gestartet bin ich auf der 1I, einer Überwachungsstation ohne invasive Beatmung. Nach zwei Jahren habe ich die Fachausbildung in der Intensivpflege, Schwerpunkt Anästhesie, absolviert und zwei Jahre im Haus rotiert, bevor ich als Fachpflegerin auf meine jetzige Station 1H kam. Ich wollte noch mehr lernen, und das UKE bewilligte mir ein Stipendium für ein berufsbegleitendes Pflegestudium: 80 Prozent Arbeitszeit fürs UKE, 20 Prozent fürs Studium. Aktuell steht die Masterarbeit an.
An manchen Tagen im Monat bin ich bereits als Advanced Practice Nurse (APN) aktiv. Diesen Titel erwerbe ich offiziell mit dem Studienabschluss. Zu den Aufgaben der APN gehört, unsere Pflege- und Expertenstandards weiterzuentwickeln, Projekte zur Optimierung der Abläufe in Gang zu setzen und einzuspringen, wo besondere Erfahrung benötigt wird. Bei meinem letzten APN-Dienst habe ich die chronischen Wunden betroffener Patient:innen fotografiert und die Unterlagen aktualisiert. Das ist ein großer Dokumentationsaufwand, da kann ich den Kolleg:innen durch meine Expertise etwas abnehmen.
In meinem nächsten Frühdienst, der um 6.20 Uhr mit der Übergabe startet, übernehme ich drei der neun Intensivpatienten. Der junge Mann mit geistiger Behinderung ist wieder in meiner Obhut. Die Lungenentzündung ist abgeklungen, der Beatmungsschlauch erfolgreich entfernt worden. Ich freue mich, erstmals sein ganzes Gesicht zu sehen, wie entspannt es ist. Seine Familie hat uns informiert, dass er in einem Spezialrollstuhl sitzen könne. Mit Unterstützung einer Kollegin heben wir ihn in den Rollstuhl. Unser Patient fühlt sich offensichtlich wohl, das macht mich glücklich. Im Laufe des Tages soll er auf die neurologische Normalstation verlegt werden, damit seine Medikamentengabe noch optimiert wird. Für die Familie ist es bestimmt problematisch, ihn aus dem häuslichen Bereich in die Klinik zu bringen, wo die Abläufe eng getaktet und wenig auf Individualität abgestellt sind. Dieser Patient ist nun wieder auf dem Weg in die Individualität. Das haben wir gut gemacht, finde ich.
Meiner zweiten Patientin geht es nicht gut. Dabei sollte sie schon auf die Normalstation verlegt werden. Die ältere Dame leidet an chronischem Nierenversagen, verursacht durch Zystennieren, die sich manchmal entzünden. Nun hatte sie erneut einen septischen Schub. Immer wieder kämpft sie sich hoch – seit 80 Tagen. Heute hätte ich gern mehr Zeit für sie, aber zu viel auf dem Zettel: Überwachung, regelmäßige Lagerungswechsel, um Druckgeschwüren vorzubeugen, Medikamentenversorgung, Toilettengang, Körperpflege für drei schwerstkranke Patient:innen. Den Faktor Zeit hat man immer im Hinterkopf, die Aufgaben müssen schnell abgearbeitet werden.
Bei meinem dritten Patienten ist die Krankheit ALS (Amyothrophe Lateralsklerose) weit fortgeschritten. Die Nervenzellen, die für die Muskulatur verantwortlich sind, verlieren dabei nach und nach ihre Funktion. Seine Atmung ist gehemmt, er wird seit Längerem beatmet. Nach einer Einblutung in der Niere kam er ins UKE und wurde operiert. Er ist völlig orientiert und wach. Die Verständigung läuft über seine Augen: Zwinkern bedeutet ja, Augenbrauen hoch heißt nein. Das hatte seine Ehefrau im Anamnesegespräch, bei dem die Krankenvorgeschichte besprochen wird, beschrieben. Für uns ist es eine große Hilfe.
Angehörige sind in der Intensivversorgung von großer Bedeutung für uns, wir müssen ihre Sorgen und Bedürfnisse ernst nehmen. Außerdem bilden sie die Brücke zu den Patient:innen auf der Station: Durch sie erfahren wir die Vorgeschichte, Vorlieben, Möglichkeiten der Verständigung. So können wir uns besser einfühlen und unsere Arbeit gut machen. Wie wichtig dieser Austausch ist, habe ich selbst erfahren, als der Vater meines Partners lebensgefährlich erkrankt in einer Klinik lag. Nach unserem Anruf versprach der behandelnde Arzt, sich binnen fünf Minuten zurückzumelden. Daraus wurden mehr als drei Stunden – und ein kaum erträgliches Kopfkino.
Im Studium habe ich mich ausführlich mit dem Thema Angehörigengespräche auf der Intensivstation befasst. Darüber schreibe ich auch die Masterarbeit. Für meine Initiative, im UKE ein Projekt zum Thema „Aktives Angehörigentelefonat“ zu etablieren, bei dem die Angehörigen regelmäßig über den Stand der Dinge informiert werden, wurde ich Ende 2021 mit dem Zukunftspreis des Verbandes der Ersatzkassen geehrt. Darauf bin ich sehr stolz.
Nach Dienstschluss fahre ich wie üblich mit dem Rad nach Hause, sieben Minuten sind es bis zur Wohnung in Lokstedt, in der ich mit meinem Partner lebe. Auf halber Strecke sind die Gedanken an die Arbeit fast immer weggeradelt. Manche Dinge bleiben länger hängen und können sehr belastend sein, etwa wenn eine Reanimation nicht gelingt. Man muss lernen, sich das nicht als persönliches Versagen anzulasten. Da helfen die Stationsleitung oder geschulte Peer-Berater:innen aus unserem Team, wieder ins Lot zu kommen. Und auch bei den langen Spaziergängen mit meinem Partner kann ich mir vieles von der Seele reden.
Intensivpflege bedeutet oft Stress, viele schöne und manchmal traurige Momente. Sie ist wie ein Kaleidoskop des Lebens. In unserem Job muss man dem Leid, das einem täglich begegnet, auch etwas Positives abgewinnen, sonst würde die Seele leiden. Wenn jemand stirbt, ist dies auch für uns bedrückend, aber man lernt, damit umzugehen. Es ist schon verstörend, was einem alles widerfahren kann und großartig, was wir dank der Hochleistungsmedizin im UKE wieder ins Lot bringen können.
Wir sind ein wunderbares Team auf der 1H, und ich vermisse es sehr, dass wir uns seit der Pandemie nicht mehr nach dem Dienst kurz zusammensetzen und austauschen können. Doch ob mit oder ohne Corona, Kontaktbeschränkung, FFP2-Maske: Ich habe einen anspruchsvollen, aufregenden und erfüllenden Beruf, in dem kein Tag alltäglich ist.“
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