Mit Highspeed aus der Gedankenfalle

Zwangsstörungen in nur vier Tagen therapieren? Was beinahe wie ein Werbeversprechen klingt, ist am UKE Realität. Das Erfolgsgeheimnis einer Highspeed-Behandlung aus Norwegen liegt in ihrer Kürze und der 1:1-Betreuung.


Von Nicole Sénégas-Wulf

Portrait Frau Prof. Dr. Lena Jelinek
Prof. Dr. Lena Jelinek
aus der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie

Die Kaffeemaschine? Ausgeschaltet. Sogar der Stecker ist gezogen. Wirklich? Und was, wenn nicht? „Es sind schon Menschen mit ihrem Toaster unterm Arm zur Therapie erschienen – aus Angst, er könne die Wohnung in Brand setzen“, berichtet Prof. Dr. Lena Jelinek aus der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Manche fotografieren, wie sie die Haustür abschließen, um sich unterwegs ständig rückzuversichern. „Menschen mit Zwängen verlieren das Vertrauen in die eigene Wahrnehmung und Urteilskraft“, erläutert UKE-Psychotherapeut Jakob Scheunemann. Manche sind täglich mehrere Stunden mit ihren Zwangshandlungen beschäftigt, sodass ein normaler Alltag nicht mehr möglich ist. Rund zwei Millionen Menschen in Deutschland sind mehr oder minder stark betroffen.

Portrait Jakob Scheunemann
Psychotherapeut Jakob Scheunemann
aus der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie

Zwangsgedanken verschwinden nicht von allein, sie bedürfen einer Therapie. „Oft ist die Scham, sich Hilfe zu suchen, groß; insbesondere, wenn die Zwänge aggressiver oder sexueller Natur sind“, weiß Prof. Jelinek, die das Projekt gemeinsam mit Dr. Amir Yassari leitet. Doch je eher man sich behandeln lässt, desto besser stehen die Heilungschancen.

Ambulante Therapien dauern mit einem Therapiegespräch pro Woche oft mehrere Jahre. „Für viele zu lang und nicht individuell genug, um wirklich am Ball zu bleiben“, bemängelt die Psychologin. Wie es anders geht, zeigt die neue Kompaktbehandlung „Bergen 4-Day Treatment“ (B4DT) aus Norwegen, die seit Herbst 2022 auf der Station für Angst und Zwang unter Leitung von Dr. Amir Yassari und Frances Bohnsack angewandt wird. „Bis zu sechs Teilnehmende werden vier Tage lang intensiv in Gruppen- und Einzeltherapien durch ein interdisziplinäres Team aus Ärzt:innen, Psycholog:innen sowie Pflegenden betreut“, sagt Jakob Scheunemann.

Ein Kernelement ist die Expositionstherapie, bei der Patient:innen methodisch lernen, Denk- und Verhaltensmuster zu hinterfragen und sich Ängsten aktiv zu stellen „Dank der 1:1-Betreuung können wir Alltägliches dort trainieren, wo die Zwänge ausgelöst werden. Bei einem Waschzwang beispielsweise im Schwimmbad oder direkt im häuslichen Umfeld“, erklärt Prof. Jelinek. Einen wesentlichen Erfolgsfaktor sieht sie in der kurzen Dauer und kompakten Struktur der Therapie, die eine engmaschige Betreuung ermöglicht.

In Norwegen haben bereits mehr als 5000 Patient:innen die Kompaktbehandlung durchlaufen. Mit sehr guten Ergebnissen: Mehr als 90 Prozent schlossen die Therapie erfolgreich ab. Fast 70 Prozent blieben auch vier Jahre später symptomfrei. Um den langfristigen Erfolg des Behandlungskonzepts auch hierzulande zu messen, wird es am UKE umfangreich erforscht und evaluiert. Bisher haben es 30 Patient:innen durchlaufen – und sich bestenfalls in nur vier Tagen die Kontrolle über das eigene Leben zurückerobert.

MEHR INFORMATIONEN?

Auf den Webseiten der Forschenden gibt's mehr Details: www.uke.de/kompakttherapie