Die Hightech-Pioniere
Für Menschen mit einer Neurofibromatose gibt es keine Heilung. Ärzte am UKE versuchen mit viel Erfindergeist Grundlagen zu legen, um die Erforschung von Therapien überhaupt erst möglich zu machen.
Die Szene wirkt futuristisch: Eine Frau steht – den Oberkörper entblößt – mit erhobenen Armen auf einer Scheibe. Der Raum ist fast dunkel, nur ein Monitor taucht ihn in Dämmerlicht. Plötzlich wandern Streifen aus blauem Laserlicht in sekundenschneller Folge über ihren Körper. Manche Streifen sind fingerschmal, andere handbreit. Rauf und runter rasen die Muster über den Körper der Frau, während sie sich langsam mit der Scheibe unter den Füßen um ihre Achse dreht und von HD-Kameras gefilmt wird. Die Kameras erkennen, wie sich die Lichtstreifen auf der Hautoberfläche krümmen. 20 Minuten später hat der Computer aus den Aufnahmen ein dreidimensionales Abbild der Patientin berechnet. Auf dem Monitor leuchten an vielen Stellen ihres Oberkörpers grüne Punkte auf.
„Dies ist der Prototyp des weltweit ersten Neurofibromatose-Scanners", sagt Prof. Dr. Victor-Felix Mautner, Leiter der Neurofibromatose-Ambulanz der Klinik und Poliklinik für Neurologie des UKE. „Das Gerät soll ein bislang ungelöstes Problem lösen: das Ausmaß der Erkrankung zu quantifizieren." Bisher habe man die Neurofibrome, gutartige Geschwülste bestimmter Nerven- und Bindegewebszellen, die sich auf, in oder unter der Haut und auch im Körperinneren bilden können, gezählt, wenn man bei Patienten Veränderungen dokumentieren wollte. „Aber im Grunde ist das unwissenschaftlich. Wir müssen die Veränderungen millimetergenau dokumentieren können, wenn wir tatsächlich wissen wollen, ob eine Therapie anschlägt oder nicht", sagt der Neurologe.
Komplexe Krankheiten mit vielen Gesichtern
Beschrieben wurden Neurofibromatosen erstmals 1881 durch den deutschen Pathologen Daniel Friedrich von Recklinghausen. Heute versteht man Neurofibromatosen aufgrund moderner genetischer Diagnosemöglichkeiten deutlich besser. Klinisch und molekulargenetisch lassen sich drei Krankheitsbilder voneinander abgrenzen: die Neurofibromatose Typ 1, die Neurofibromatose Typ 2 und die Schwannomatose. Alle drei Erkrankungsformen werden vererbt. Der von den Hamburger Wissenschaftlern in Kooperation mit einer Firma etablierte Scanner hilft ausschließlich bei der Überwachung der Neurofibromatose Typ 1 – kurz: NF1. Betroffen davon sind in Deutschland rund 35 000 Menschen. Die NF1 ist damit zwar die häufigste Form der Neurofibromatose, sie zählt aber dennoch – wie die anderen Neurofibromatosen auch – zu den seltenen Erkrankungen. Unter den Neurofibromatosen ist sie auch diejenige Variante, die den größten Leidensdruck erzeugt. „Ein Teil der Patienten führt ein Leben im gesellschaftlichen Schatten", sagt Victor-Felix Mautner.
Wie groß das Leiden der Betroffenen – und ihr Wunsch nach einer wirkungsvollen Behandlung – ist, lässt sich erahnen, wenn man ihnen gegenübertritt. Die Neurofibromatose verwandelt die Haut oft in eine Landschaft aus Knoten und Knubbeln. Betroffen ist mitunter die gesamte Körperoberfläche – von den Intimzonen bis hin zu jenen Stellen, die man im Alltag nur schwer verstecken kann: Hände und Gesicht. Werden die Neurofibrome, die lebenslang nachwachsen, entfernt, bleiben meist Narben.
Technik aus dem Flugzeugbau
„Die Herausforderung ist es, eine Software zu entwickeln, die Unebenheiten auf der Haut erkennt und Neurofibrome auch zweifelsfrei als solche identifiziert und von Falten, Pickeln oder Narben unterscheidet", sagt Dr. Said Farschtschi, Forschungspartner von Prof. Mautner und Erster Vorsitzender des Bundesverbandes Neurofibromatose. „Sind die grünen Punkte auf dem Monitorbild Neurofibrome oder nicht?" Für die Suche nach einer Lösung verlassen Mautner und Farschtschi mitunter auch das biomedizinische Umfeld: Die Laser- und Kameratechnik ihres 3D-Scanners stammt ursprünglich aus dem Flugzeugbau und der Autoindustrie. Dort werden damit Oberflächen auf haarfeine Risse überprüft. Und der Software wegen haben sie schon Kontakt zu Landschaftspflegern aufgenommen, die mithilfe von Computerprogrammen Luftaufnahmen auswerten. „Eine eigene Software zu entwickeln, würde den finanziellen Rahmen sprengen, in dem sich Forschung zu seltenen Erkrankungen bewegt", räumt Farschtschi ein. „Wir sind auf fertige Lösungen aus anderen Bereichen angewiesen."
Mithilfe des NF-Scanners wollen die beiden Neurowissenschaftler auch verstehen, was die Knoten auf der Haut überhaupt wachsen lässt. „Die Pubertät und eine Schwangerschaft fördern das Wachstum der Neurofibrome", sagt Victor-Felix Mautner. Wie genau sich diese und auch andere Faktoren, beispielsweise Stress, Ernährung oder Medikamente, auswirken, könne derzeit niemand sagen. „Mit dem Scanner wären wir in der Lage, das Wachsen oder Schrumpfen der Neurofibrome quantitativ zu verfolgen", so der Neurologe. Mögliche Effekte von Medikamenten oder anderen Einflussfaktoren auf die Neurofibromatose seien so erstmals messbar. Mautners Partner blickt noch weiter nach vorne: „Die Neurofibromatosen sind für uns ein Modell für alle Neuropathien", sagt Dr. Farschtschi. Die dank des Scanners gewonnenen Erkenntnisse könnten daher auch nützlich sein für viele andere Erkrankungen des peripheren Nervensystems.
Text: Arnd Petry
Fotos: Ronald Frommann