Taktgeber fürs Gehirn
Bewegungsstörungen wie Parkinson oder Dystonie behandeln UKE-Ärzte mit der Tiefen Hirnstimulation. Dazu müssen sie nadeldünne Elektroden in einem erbsengroßen Gehirnareal platzieren und die Stimulation über die Anpassung der Stromfelder optimal einstellen.
Ein Loch im Kopf, das will eigentlich niemand haben. Aber wenn es die beste (und vielleicht letzte) Chance ist, bislang nicht therapierbare Bewegungsstörungen – unwillkürliche Muskelkrämpfe, Verlangsamungen oder Zittern – in den Griff zu bekommen? „Für die Patienten ist die OP ein spezieller Moment. Sie sind zeitweise wach und müssen am OP-Erfolg mitarbeiten", sagt Priv.-Doz. Dr. Monika Pötter-Nerger. Die Oberärztin ist Teil eines Teams aus Neurologen, Neurophysiologen und Neurochirurgen, das am Kopf- und Neurozentrum des UKE außergewöhnliche chirurgische Eingriffe durchführt. Die Ärzte implantieren während einer mehrstündigen Operation eine oder zwei Elektroden im Gehirn und verbinden diese mit Kabeln, die unter der Haut entlang des Halses verlaufen, mit einem kleinen Kasten, der meist in der Nähe des Schlüsselbeins seinen Platz findet. Dieser als Hirnschrittmacher bezeichnete Apparat enthält die Batterie für die Elektroden und die Steuerelektronik. „Bei Frauen, die schlank sind und Dekolleté zeigen wollen, wird der Impulsgeber auch im Bauchraum implantiert", sagt Pötter-Nerger. „OP-technisch ist das kein Problem."
Millimeterarbeit: das Einsetzen der Hirnelektrode
Wenn der Impulsgeber implantiert wird, hat das OP-Team in der Regel die größte chirurgische Herausforderung bereits gemeistert: das Einsetzen einer knapp 1,3 Millimeter dünnen Elektrode in ein etwa erbsengroßes Zielareal in der Tiefe des Gehirns. Damit das gelingt, wird der Kopf der Patienten in einem stereotaktischen Rahmen fixiert – der Bewegungsspielraum ist gleich null. Das Zielgebiet und der Weg dahin werden mithilfe von Navigationsprogrammen festgelegt. Spielraum für Ungenauigkeiten gibt es dabei kaum. „Das Bild vom Inneren des Gehirns, das wir mit dem MRT-Gerät gewinnen, ist schon gut zur Orientierung", sagt Dr. Pötter-Nerger. Es habe aber eine Ungenauigkeit von bis zu einem Millimeter. „Und wenn man dann weiß, dass sich das Hirn, das ja in Wasser schwimmt, um einen Millimeter verschieben kann, wenn man die Elektrode einführt, dann ist das insgesamt zu viel."
Um den bestmöglichen Operationsweg und die ideale Position für die Elektroden zu finden, bauen die Hirnchirurgen deshalb auf Informationen aus zwei weiteren Quellen. Während der OP schieben sie drei bis fünf Mikroelektroden ins Gehirn, mithilfe derer die Nervenaktivität belauscht wird. Mit der intraoperativen Stimulation sehe man dann, wo genau im Nucleus subthalamicus man sich befinde, so Dr. Pötter-Nerger. „Die Elektrode wird schließlich dort platziert, wo die besten Elektrodenableitungen zu finden sind und wo der Stimulationseffekt bei geringen Nebenwirkungen am größten ist."
Auf welche Weise die Tiefe Hirnstimulation wirkt, ist noch nicht vollständig geklärt. Eine Hypothese ist, dass die krankmachenden Aktivitäten der Nervenzellen durch das Dazwischenfunken eines hochfrequenten elektrischen Impulses überschrieben werden. Viele therapeutische Effekte und Nebenwirkungen zeigen sich allerdings erst mit Verzögerung nach Tagen oder Wochen – ein Hinweis auf die bislang noch nicht verstandenen Umbauprozesse im menschlichen Gehirn.
Einstellen der Stimulationsparameter
Mit der OP fällt der Startschuss für die Feinjustierung der Stromfelder um die Elektroden. Gemeinsam mit den Patienten optimieren Monika Pötter-Nerger und ihre Kollegen postoperativ die Wirkung der Hirnschrittmacher. Durch Auflegen einer Antenne kann per Telemetrie der darunter implantierte Impulsgeber ausgelesen und programmiert werden. Impulsfrequenz, Amplitude, Impulsbreite und damit die genaue Form und Lage des elektrischen Feldes rund um die Elektroden können dann mithilfe eines externen Steuergerätes verändert und an die Bedürfnisse der Patienten angepasst werden. Das Ziel: die Wirkung von OP und Hirnstimulation zu maximieren, ohne die umliegenden Nachbarstrukturen zu beeinträchtigen.
Gelegentlich setzen die UKE-Experten aber auch schon während der OP auf die Mitarbeit ihrer Patienten: Im Rahmen einer Studie innerhalb des Sonderforschungsbereichs 936 untersuchen sie die Effekte der Stimulation auf die Aktivität von Netzwerken im Gehirn. Manche Patienten führen dann – während sie auf dem OP-Tisch liegen – Schrittbewegungen auf einem Stepper durch. „Den Stepper für intraoperative Untersuchungen haben wir extra konstruiert. Wir können so die einmalige Chance nutzen, während der OP die Nervenzellen abzuhören, um zu erfahren, welche Rolle die Zellen der Basalganglienkerne bei der Kontrolle von Schrittbewegungen innehaben", sagt Monika Pötter-Nerger. Die acht- bis zehnstündige OP verlängert sich durch dieses Intermezzo noch einmal um etwa eine halbe Stunde. Geeignet für den sportlichen Forschungseinsatz seien aber nur ausgesuchte Patienten, so Pötter-Nerger. Die Neurologin: „Sie müssen dazu bereit sein, sich in Wachnarkose operieren zu lassen, wenig Tremor haben und intraoperativ fit genug für die Stepping-Aufgabe sein."
Text: Arnd Petry
Fotos: Ronald Frommann