"Da klopft er wieder an, der Tod."
183 Mal hat Wehmeyer zwischen 1978 und 1985 das HSV-Trikot getragen, dreimal stand am Ende der Saison die Deutsche Meisterschaft. Als er mit dem HSV 1983 im Finale von Athen den hohen Favoriten Juventus Turin schlug und den Europacup der Landesmeister an die Elbe holte, war Hamburg außer Rand und Band. Felix Magath hat damals das Siegtor geschossen, Trainer-Genie Ernst Happel und Manager Günter Netzer hatten den HSV zu einem Spitzenclub geformt. Ganz Hamburg hatte die Raute im Herzen!
Der HSV galt nach dem grandiosen Sieg als unsterblich – und somit auch Bernd Wehmeyer. Doch plötzlich entpuppt sich ein Wort nur als ein Wort; plötzlich ist selbst ein Hochleistungssportler, der nie geraucht, sich (fast) immer gesund ernährt, der heute noch Idealgewicht (75 Kilo bei 1,76 Meter) und (kaum) Alkohol getrunken hat, in Lebensgefahr! Eine Prellung oder ein Knieschaden – das waren die Verletzungen, die Bernd Wehmeyer vertraut waren. Doch nun, am 3. Oktober 2011, klopfte der Tod an „Fummels“ Lebenstür!
Wehmeyer erinnert sich an diesen Tag. Unruhig rutscht der 65-Jährige auf seinem Stuhl hin und her, nippt am Wasserglas. Wehmeyer joggte, als er einen Druck im Bereich des Schlüsselbeins spürte. „Ich hatte keine Herzstiche und auch keinen schmerzenden Arm, aber ich merkte doch, dass etwas nicht in Ordnung war. Also fuhr ich ins UKE.“ Wie gut! Eine Herzarterie war verstopft, ein klassischer Herzinfarkt. Wehmeyer wurde sofort operiert, erhielt einen Stent – eine kleine, gitterförmige Gefäßstütze, mit der verengte Herzkranzgefäße aufgedehnt werden. Die Rettung – noch mal davongekommen.
Aber wie das bei einer schweren Erkrankung üblich ist, gucken die Ärzte rund um so einen Eingriff schon mal genauer hin. Könnte da noch etwas sein? Tatsächlich, Wehmeyers PSA-Wert war erhöht. Der PSA-Wert gibt Aufschluss über das Prostata-spezifische Antigen im Blut. Ist der Wert erhöht, kann dies ein Hinweis auf ein Prostatakarzinom sein – muss es aber nicht. Nur bei drei von zehn erhöhten PSA-Werten stellt sich am Ende Prostatakrebs heraus. Wehmeyer vereinbarte einen Termin in der Martini-Klinik. Seine Frau Almuth begleitete ihn, als Prof. Dr. Markus Graefen tatsächlich die Diagnose nannte: Prostatakrebs im Frühstadium. Der Krebs hatte noch nicht gestreut, er war lokal gut zu entfernen. Graefens Empfehlung: eine Operation, die Entfernung der Prostata. Das auch unter dem Namen Vorsteherdrüse bekannte Organ hat die Größe und die Form einer Kastanie. Eingebettet zwischen Gewebe und Nervensträngen liegt die Prostata direkt unterhalb der Harnblase. Ihre wesentliche Arbeit besteht darin, ein Sekret zu bilden, das zum Hauptbestandteil der Samenflüssigkeit wird.
Bernd Wehmeyer schließt für ein paar Sekunden die Augen, als er sich an den Januar 2012 erinnert. „Ein gnadenloser Einschlag“, sagt er, „du spürst, da klopft er schon wieder an, der Tod. Zum zweiten Mal innerhalb von drei Monaten.“ Aufgeben war für ihn dennoch keine Option. „Als Sportler war ich gewohnt zu kämpfen, keinen Ball verloren zu geben. Ich wusste von Prof. Graefen, ich habe eine Chance. Und ich hämmerte mir ein: Lass dich nicht hängen.“ Er informiert den HSV, dass er als Clubmanager eine Weile ausfällt. Und dann ist da noch die eigene Angst. „Natürlich fragt man sich: Geht danach noch was? Musst du Windeln tragen? Aber in so einer Situation verschieben sich Prioritäten: Da denkt man mehr ans Überleben als an die Potenz. Die Heilung ist das A und O.“ Die Spezialisten der Martini-Klinik bescherten Bernd Wehmeyer tatsächlich all das, was er und seine Frau sich wünschten – einen klassischen Hattrick: Sie befreiten ihn vom Krebs, er behielt Kontinenz und Potenz.
Und heute? „Das Vertrauen in meinen Körper ist noch nicht wieder zu 100 Prozent da. Ich höre viel intensiver in mich rein. Wenn es irgendwo zwickt, frage ich mich gleich: Was könnte dahinterstecken …?“ Tägliches Hineinhorchen einerseits – und andererseits strahlt Wehmeyer, der seit Jahren für den HSV als Markenbotschafter tätig ist, einen vitalen, äußerst gesunden Eindruck aus. Hat er sein Leben umgestellt? Er schmunzelt. „Nein, nein. Ich habe eigentlich immer gesund gelebt, viel Sport getrieben. Aber meine Frau Almuth achtet schon darauf, dass ich mich bewusster ernähre. Weniger Fleisch, mehr Fisch. Statt einer Bratwurst esse ich lieber mal einen Apfel. Ganz wichtig: Ich beginne meinen Tag mit 45 Minuten auf dem Crosstrainer, um richtig zu schwitzen. Und mit einem Frühstück in Ruhe: Müsli mit Obst, Nüssen, dazu eine Scheibe Schwarzbrot. Danach kann’s dann losgehen.“
Der 10- bis 12-Stunden-Arbeitstag des Bernd Wehmeyer – ein Leben wie vor Krebs und Infarkt? „Jein“, antwortet er und meint mit der Einschränkung die Medikamente (Blutverdünner, Blutdruck- und Cholesterinsenker) und die Reisen, auf die er häufiger verzichtet. Nach Dubai, das von Wehmeyer gemanagte Winter-Trainingslager des HSV, ist er noch mitgeflogen, die Kanareninsel Fuerteventura hat er dagegen gestrichen. „Dort war ich jedes Jahr. Ich liebe die langen Strände, das Meer. Aber wenn mir dort was passiert, bin ich doch verraten und verkauft.“
Andere Leute gehen mit 65 in Rente – und wenn sie mit 60 einen Infarkt und Prostatakrebs hatten, auch früher. Wehmeyer ist im Juni 65 geworden. Denkt er an Rückzug? Will er, der seit 40 Jahren für den HSV auf und neben dem Rasen aktiv ist, ins Rentnerleben eintauchen, sich gänzlich zur Ruhe setzen? Energisch schüttelt er den Kopf. „Nein, nein, mir macht mein Job jede Menge Spaß. Und er tut mir gut, der HSV ist quasi die beste Medizin für mich.“ Die Raute im Herzen eben!
Text: Hans-Heinrich Reichelt
Fotos: Christian Geisler