Die nächste Pandemie im Blick
Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, welche Bedeutung Obduktionen zur Klärung einer Todesursache und somit auch für Therapie und Management von Erkrankungen haben. Dieses Potenzial nutzen Forschende in einem bundesweiten Netzwerk, um auf künftige Pandemien bestmöglich vorbereitet zu sein.
Text: Uwe Groenewold, Foto: Axel Kirchhof
Gleich zu Beginn der Pandemie entstand die Idee, Obduktionen SARS-CoV-2-positiver Patient:innen systematisch zu erfassen, um Erkenntnisse über die Auswirkungen des Virus auf Zellen und Gewebe zu gewinnen. Entwickelt wurde daraus zunächst das Deutsche Register für COVID-19-Obduktionen, das Zentren aus Pathologie, Neuropathologie und Rechtsmedizin von 33 universitären sowie sechs nichtuniversitären Standorten vernetzt hat. Inzwischen bildet es das elektronische Rückgrat des Nationalen Obduktionsnetzwerks NATON. „Die Obduktion ist eine einzigartige Gelegenheit, die Auswirkungen einer Erkrankung auf den ganzen Körper eines Menschen zu sehen. Das Miteinander unserer drei Fachdisziplinen sichert eine gemeinsame Expertise in der Bewertung von pathophysiologischen Prozessen, detaillierten Organbefunden bis hin zum letalen Mechanismus“, sagt Prof. Dr. Benjamin Ondruschka, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin des UKE und einer der drei Koordinatoren von NATON.
Heute kann NATON auf vielfältige Weise dazu beitragen, dass das Gesundheitssystem besser auf eine künftige Pandemie vorbereitet ist. Die kontinuierliche Überwachung von Todesfällen auf Hinweise zu neuartigen Erkrankungen oder die Häufung von Symptomen und deren Meldung an die Gesundheitsbehörden ermöglichen eine frühzeitige Erkennung von Ausbrüchen. „Und im Pandemiefall kann die Pathophysiologie neuer Erreger durch systematische Obduktionen schnell charakterisiert werden“, ergänzt Dr. Kristina Allgoewer-Martin, NATON-Projektmanagerin in der Rechtsmedizin.
Langfristig, so die Vorstellung der Forschenden, könnte NATON als Beratungsinstanz für Obduktionszentren, das Bestattungswesen und Gesundheitsbehörden zum Umgang mit infektiösen Verstorbenen zur Verfügung stehen. Im weiteren Verlauf einer künftigen Pandemie könnten vulnerable Bevölkerungsgruppen identifiziert und Todesfälle systematisch auf neuartige Infektionserreger oder Erregervarianten untersucht werden – dies auch retrospektiv, da Gewebeproben langzeitarchiviert werden. Außerdem könnten therapeutische Interventionen evaluiert, Todesfälle im zeitlichen Zusammenhang mit Impfungen analysiert sowie Gewebeveränderungen bei Verstorbenen mit Langzeiterkrankungen dokumentiert und detailliert analysiert werden. Prof. Ondruschka: „Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wertvoll eine vernetzte und interdisziplinäre Obduktionsforschung sein kann. Diese gilt es, weiter zu verbessern, um in einem künftigen Pandemiefall vorbereitet zu sein und rasch eine optimale Patient:innenversorgung zu ermöglichen.“