Kampf um jedes einzelne Leben geht weiter

Sommer, Sonne und dazu neue alte Freiheiten: Die meisten Menschen genießen die Lockerungen am Ende der dritten Corona-Welle. Unterdessen wird auf den Intensivstationen des UKE weiter um das Überleben von COVID-19-Erkrankten gekämpft – manchmal viele Wochen lang. Zunehmend sind jüngere Menschen betroffen.

Dr. de Heer Intensivstation
Lupe zum Vergrößern des Bildes
Dr. Geraldine de Heer, Klinik für Intensivmedizin

„In der dritten Welle behandeln wir deutlich weniger COVID-19-Patient:innen als in der ersten Welle, aber der Anteil derjenigen, die sehr lange Zeit auf der Intensivstation verbringen, ist gestiegen“, erklärt Dr. Geraldine de Heer, Stellvertretende Direktorin der Klinik für Intensivmedizin des UKE. Meist handele es sich um beatmete Patient:innen nach einem Lungenversagen, die an ein spezielles Hightech-Gerät angeschlossen werden müssen, das die Lungenfunktion ersetzt (ECMO). „Darunter sind relativ viele jüngere Leute zwischen 20 und 50, die eine gute Konstitution besitzen. Dadurch kommt es auch zu diesen langen Verläufen“, so die Oberärztin. Die verbreitete Vorstellung, dass schwer erkrankte COVID-19-Patient:innen in der Regel schon schwerwiegend vorerkrankt sind, deckt sich nicht mit ihren Erfahrungen: „Wir haben viele schwere Verläufe auch bei Menschen erlebt, die zuvor keine relevanten Erkrankungen hatten.“ Wie bei jenem Patienten um die 40, der auf der Bettkante saß und ihr durch das Bullauge in der Tür des Isolationszimmers zuwinkte. Eine Stunde später musste er reanimiert werden, drei Stunden später war er gestorben.

Parallel zu den sinkenden Infektionszahlen ist die Zahl der Corona-Stationen zurückgefahren worden: Waren in der ersten Welle noch vier der insgesamt 12 Intensivstationen des UKE für COVID-19-Fälle umgewidmet worden, ist es aktuell nur noch eine, auf der auch Verdachts- und Quarantänefälle versorgt werden. Wer COVID-19-Erkrankte betreut, fährt aber weiterhin das volle Programm, muss Vollschutz tragen, sitzt allein im isolierten Krankenzimmer und wird allenfalls zur Pause und bei dringendem Bedürfnis ausgelöst. „Es sind für uns ungewohnte und schwierige Arbeitsbedingungen. Das ist auf Dauer schon sehr anstrengend“, berichtet Dr. de Heer.

Dr. de Heer Intensivstation
Lupe zum Vergrößern des Bildes
Zahlreiche Monitore gehören zur Intensivversorgung
ECMO
Lupe zum Vergrößern des Bildes
Lebenserhaltende Therapie außerhalb des Körpers

Viele Mitarbeitende wollen Intensivstationen unterstützen

Die Belastungen haben sich nach Beobachtung der 53-Jährigen im Verlauf der Pandemie gewandelt: „Die erste Welle hat alle schockiert. Es gab viel Unsicherheit; man hatte Angst um seine Angehörigen und die Sorge, sich selbst zu infizieren und auch die Sorge, dass die Schutzkleidung knapp werden könnte.“ Der UKE-Einkauf habe die Situation aber „schnell und hervorragend“ gemeistert. „Wir hatten immer die Schränke voll.“ Gleichzeitig habe es eine regelrechte Aufbruchstimmung gegeben, als Hunderte Mitarbeitende des UKE an Schulungen teilnahmen, um bei Bedarf auf den Intensivstationen zu unterstützen.

Die zweite Welle bedeutete eine neue Herausforderung, da die Zahl der COVID-19-Patient:innen in die Höhe schnellte, Enttäuschung und Ohnmachtsgefühle sich breit machten, der ewige Wechsel der Schutzkleidung nervte. „Da brauchte es Durchhalteparolen, um die Mitarbeitenden zu motivieren.“ Auch in der auslaufenden dritten Welle gehe es darum, die Motivation auf einem hohen Niveau zu halten, denn „alle in der Klinik sind müde.“ Die Lockerungen nach dem Lockdown und die Aussicht auf ein mögliches Ende der Pandemie sorgen für allgemeine Stimmungsaufhellung. Als Privatperson genieße sie es, wieder mit Freunden beim Lieblingsitaliener zu essen, Kraft und Ausdauer im Fitnessstudio zu trainieren, den Urlaub zu planen. „Darauf haben wir alle lange gewartet“, sagt Dr. de Heer. „Aber es wäre ein Fehler zu behaupten, die Pandemie sei vorbei und wir könnten uns entspannen.“

Dass es bei den Besuchsregelungen für Angehörige von Langzeit-Intensivpatient:innen absehbar zu Lockerungen kommt, ist für Dr. de Heer ein besonderer Grund zur Freude. Auf ihrer Intensivstation hatte sich das Team schon zu Beginn der ersten Welle darauf verständigt, täglich aktiv die Angehörigen anzurufen und den Stand der Dinge mitzuteilen, „und nicht nur, wenn etwas passiert ist.“ Sie selbst hat viele dieser Gespräche geführt – und dabei das große Leid der Angehörigen erfahren. Da schrie ein Mann in seiner Verzweiflung ins Telefon, er könne es nicht mehr aushalten. Seine Ehefrau lag schwerstkrank an der Herz-Lungen-Maschine. „Wir haben drei kleine Kinder. Ich schaffe das nicht allein!“

Persönlicher Kontakt von großer Bedeutung

Die Ehefrau eines anderen Patienten bat die Oberärztin, mit ihrem halbwüchsigen Sohn zu sprechen. Der hatte nicht die Nerven, sich auf seine Abschlussprüfung vorzubereiten, während der Papa um sein Leben kämpfte. Dr. de Heer machte mit ihm einen Deal: „Wir werden alles geben, damit dein Vater wieder nach Hause kommt.“ Der junge Mann müsse das Gleiche für seinen Abschluss tun, weil das Leben weitergehe. Beide haben es geschafft.

„Der persönliche Kontakt ist von sehr großer Bedeutung“, bilanziert die Ärztin. „Bei all dem, was wir als Intensivmediziner:innen leisten können, bleibt uns manchmal nur, das Schlimmste nicht unerträglich werden zu lassen.“ Und wenn dann ein augenscheinlich hoffnungsloser Fall doch den Weg ins Leben zurückfindet, bedeutet es für alle Beteiligten Freude und Erleichterung zugleich.

Text: Ingrid Kupczik, Fotos: Axel Kirchhof (Stand: 17. Juni 2021)