Aus dem Strom
Zwei Forschergruppen im UKE wollen Mechanismen der Metastasierung im Detail verstehen und nachvollziehen, wie sich Krebszellen im Körper ausbreiten und fremde Organe befallen. Dabei konzentrieren sie sich auf ganz spezielle Moleküle.
Hat ein Tumor schon Tochtergeschwulste gebildet oder nicht? Die Antwort auf diese Frage bestimmt oft das Schicksal von Krebspatienten. „In der Vergangenheit wurden zwar schon viele Aspekte der Metastasierung eingehend beleuchtet, aber dennoch sind die einzelnen Faktoren, die in diesem komplexen Vorgang von essentieller Bedeutung sind, noch nicht hinreichend aufgeklärt“, sagt Prof. Dr. Udo Schumacher vom Institut für Anatomie und Experimentelle Medizin (IAEM). Die Herausforderung bei der Erforschung der Ausbreitung maligner Tumoren bestehe darin, die limitierenden Schritte der sogenannten Metastasierungskaskade zu erkennen. Sprich: Wo ist der Flaschenhals, durch den Krebszellen auf ihrem Weg aus dem Muttertumor heraus in den Blutstrom und von dort in das Gewebe des Zielorgans wandern müssen?
Molekulare Griffe und Klinken
„Wenn eine mit dem Blut treibende Tumorzelle sich nicht schnell wieder im Gewebe einnisten kann, stirbt sie“, sagt Schumachers Kollege am IAEM, Prof. Dr. Tobias Lange. Im reißenden Blutstrom könne sie nicht lange überleben. „Das Verlassen des Blutstroms ist unserer Ansicht nach daher der entscheidende Vorgang.“ Eine Schlüsselstellung nehmen dabei die Zelladhäsionsmoleküle ein (abgekürzt CAMs: cell adhesion molecules): Sie befinden sich an den Wänden der Gefäße und bilden die Griffe, an denen sich die vorbeitreibenden Tumorzellen festhalten können, aber auch die Klinken, die sie drücken müssen, um durch eine Öffnung zwischen den Zellen der Gefäßwand in das Gewebe dahinter zu gelangen.
Diese Klinken und Öffnungen heißen wissenschaftlich korrekt Integrine und Selektine und ihnen gilt das Hauptinteresse der Wissenschaftler um Udo Schumacher und Tobias Lange. Bekannt ist, dass diese Moleküle im Rahmen einer Entzündungsreaktion von den weißen Blutkörperchen des Immunsystems, den Leukozyten, genutzt werden, um aus dem Blut heraus zu den Entzündungsherden im Gewebe zu gelangen. Wie sich Tumorzellen diese molekularen Mechanismen zu Nutze machen, wollen die Forscher im Detail an verschiedenen menschlichen Tumoren untersuchen.
Neue Möglichkeiten
Ihre Arbeit trägt inzwischen Früchte: Das Team um Prof. Schumacher konnte im Modell zeigen, dass die Bindung der Krebszellen an das Selektin auch beim menschlichen Eierstock- und Bauchspeicheldrüsenkrebs eine Rolle spielt. Mäuse, denen dieses Selektin fehlt, haben eine „drastisch bessere“ Überlebensprognose, so die Wissenschaftler.
Beim Prostatakarzinom konnten Prof. Lange und seine Mitarbeiter neben bereits bekannten Molekülen auch bislang unbekannte Moleküle identifizieren, die bei der Metastasierung eine Rolle spielen. Sie könnten eines Tages helfen, eine für viele Männer mit einem diagnostizierten Prostatakarzinom wichtige Frage besser beantworten zu können: Wie wahrscheinlich ist es, dass der Tumor spontan Metastasen bildet?
Text: Arnd Petry
Foto: Felizitas Tomrlin