Impfstoffentwicklung:
Wenn Bevölkerung und Wissenschaft an einem Strang ziehen
Weltweit sind rund 170 Impfstoffe gegen das neuartige Coronavirus in der Entwicklung, die meisten noch in frühen Laborphasen. Über 45 Impfstoffkandidaten befinden sich in der klinischen Erprobung am Menschen, an einem davon ist das UKE maßgeblich beteiligt. Zum 15-köpfigen Entwicklungsteam gehören die Ärztin Dr. Anahita Fathi und die Virologin Dr. Christine Dahlke.
„Die eine sieht die Testpersonen, die andere das Blut.“ Auf diese griffige Formel bringt Dr. Dahlke die Arbeitsteilung von Klinik und Laborforschung in puncto Testimpfstoff. „Mich interessiert, was genau im Körper passiert, nachdem der Impfstoff am Tag Null in den Muskel gespritzt worden ist“, sagt sie. Ab wann und wie reagiert das Immunsystem? Was genau passiert mit der angeborenen Immunantwort, wie sind die zellulären und die Antikörper-Antworten? In der ersten von drei klinischen Studienphasen, deren Erfolg Voraussetzung für eine Zulassung ist, erhielten 30 Probanden im Abstand von vier Wochen je eine Dosis des Testimpfstoffs, der im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) entwickelt wurde. Danach wurde ihnen mehrfach Blut abgenommen, die Proben im Labor des Bernhard-Nocht-Instituts wurden aufbereitet, die Immunzellen isoliert und erstmal eingefroren, bevor Analyse und Auswertung folgen.
In Phase I geht es um die Sicherheit. „Auch wenn wir bei unseren Impfstoffen keine Gefahr sehen, ist es doch immer etwas Besonderes, wenn das erste Mal am Menschen getestet wird“, sagt Dr. Dahlke. Die Forscherin von der Abteilung Klinische Infektionsimmunologie arbeitet überwiegend im Labor des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin (BNITM), seit zwei Jahren auch für das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF). Zurzeit ist sie allerdings weniger im Labor aktiv, sondern unterstützt bei der Erarbeitung von Studienprotokollen, der Vorbereitung von Experimenten, erstellt Dokumente, bringt Daten zusammen und wertet sie aus. Die 43-Jährige wollte nach dem Studium der Biomedizin eigentlich in die Krebsforschung gehen, fand dann aber die Virologie noch faszinierender. „Es ist ein spannendes ‚Räuber und Gendarm‘-Spiel: Viren gelangen in den Körper, sie wollen sich verstecken und vermehren. Und das Immunsystem versucht, das zu verhindern, sie aufzuspüren und zu eliminieren.“
Dr. Anahita Fathi ist ihre Kollegin im Entwicklungsteam. Die 33-Jährige, die kurz vor der Prüfung zur Fachärztin für Innere Medizin steht, pendelt normalerweise zwischen den Welten: als Wissenschaftlerin im Forschungslabor des BNITM, als Ärztin in der I. Medizinischen Klinik, wo sie im Bereich Gastroenterologie und Infektiologie arbeitet. Im Moment aber steht die Impfstoffstudie im Vordergrund. Als stellvertretende Studienleiterin hat sie das aufwändige Studienprotokoll mit entworfen: Wie soll die Studie ablaufen, worauf muss besonders geachtet werden, welche Nebenwirkungen sind zu erwarten, was genau soll im Labor getestet werden? Auch wenn weitere Institute und Mitspieler an dem Großprojekt beteiligt sind: „Das UKE trägt die Verantwortung für die Studie.“
Die Testpersonen – mehr als 2500 hatten sich für die 30 Plätze beworben – werden von einem Auftragsinstitut (CTC North) betreut. „Wir stellen im Team sicher, dass wir alle Probanden kennen.“ Studienleiterin Prof. Dr. Marylyn Addo und Dr. Fathi begrüßen die Probanden bei der ersten Impfung und fragen auch nach der Motivation. An medizinischen Phase-I-Studien dürfen nur junge und gesunde Personen – in dieser Studie sind es Menschen zwischen 18 und 55 Jahren – teilnehmen, oft sind es Studenten. „Aber diesmal sind deutlich mehr Menschen dabei, die schon voll im Berufsleben stehen.“ Viele müssen sich extra freinehmen für die insgesamt zehn Termine für Impfung, Blutabnahme, Check der Impfwirkung. Warum tun sie das? „Manche berichten, dass sie sonst nicht an Studien teilnehmen, aber in diesem Fall helfen wollen, einen Impfstoff zu entwickeln.“ Ein Proband habe erzählt, dass es in seinem Umfeld Impfskeptiker gebe und er ihnen zeigen möchte, dass Impfungen das Beste der Welt seien. Dr. Fathi findet es „großartig, dass Bevölkerung und Wissenschaft an einem Strang ziehen.“
Die beiden Wissenschaftlerinnen haben Erfahrung in der Impfstoffentwicklung: Dr. Dahlke war 2014 dabei, als das UKE im Auftrag der WHO einen Impfstoff gegen das Ebola-Virus testete; in den letzten Jahren waren beide an der Untersuchung eines MERS-Coronavirus-Impfstoffs beteiligt. „Aus dieser Forschung können wir jetzt viele wichtige Erkenntnisse nutzen. Das spart enorm Zeit“, so Dr. Fathi
Seit März ist mehr oder weniger Dauerstress, das Arbeitstempo ist hoch, die nächste Studienphase will vorbereitet sein. Im Wettrennen mit anderen Impfstoff-Teams sehen sich die Expertinnen aber nicht. Man brauche viele unterschiedliche Impfstoffe, um die Pandemie in den Griff zu bekommen. „Ich freue mich aber schon darauf, dass es irgendwann mal vorbei sein wird“, sagt Christine Dahlke. Mit zwei Kindern im On-Off-Unterricht und Kontaktbeschränkungen sei die Situation nicht gerade entspannt. Dagegen hilft Yoga am Morgen, und nach der Arbeit stöpselt sie sich die Meditations-App ins Ohr: „Das bringt mich runter.“ Kollegin Anahita Fathi genießt in diesen speziellen Zeiten, „dass mein Partner mich unterstützt und ein hervorragender Koch ist.“