„Die Situation stresst alle enorm“
Seit Beginn der Corona-Pandemie finden keine Präsenzveranstaltungen mehr an den Universitäten statt, die Lehre hat sich fast komplett in den digitalen Raum verlagert. Der praktische Teil des Studiums, die reale Begegnung mit Patient:innen, stellt jedoch einen elementaren Schwerpunkt der Ausbildung angehender Ärzt:innen dar. Für die Studierenden ist dies keine einfache Situation. Prof. Dr. Corinna Bergelt und Dr. Jennifer Guse aus dem Institut und der Poliklinik für Medizinische Psychologie haben in einer Studie untersucht, wie sich die psychische Belastung von Medizinstudierenden am UKE seit vergangenem Frühjahr entwickelt hat.
Frau Prof. Bergelt, Frau Dr. Guse: Wie geht es Medizinstudierenden in Folge der Corona-Pandemie?
Prof. Dr. Corinna Bergelt: Sie sind psychisch äußerst stark belastet, hat unsere Analyse ergeben. Sowohl ihr Stress ist seit einem Jahr angestiegen als auch ihre Angst. Und ihre Studienmotivation hat deutlich gelitten.
Was ist besonders schwierig für die Studierenden?
Dr. Jennifer Guse: Viele geben an, Schwierigkeiten zu haben, sich zum Online-Studium zu motivieren. Sie machen sich Sorgen, Klausuren nicht erfolgreich hinter sich zu bringen, Prüfungen nicht zu bestehen. Und sie leiden besonders darunter, dass viele praktische Kurse nicht oder nur in sehr begrenzter Form stattfinden können. Die Angst der Studierenden, etwas zu verpassen, was sie nicht mehr aufholen können, wird insgesamt immer größer.
Wie hat sich der Stresslevel der Studierenden im Verlauf der Pandemie entwickelt?
Dr. Guse: Beispielsweise berichten Studierende, dass ihre Motivation, sich die Lerninhalte per Online-Selbststudium anzueignen, mit jeder Woche sinke. Auch die Belastungen durch weniger soziale Kontakte – privat wie im Studium – und die generelle Ungewissheit sind deutlich gestiegen, je länger der Lockdown andauert.
Prof. Bergelt: Tatsächlich sind ältere Semester etwas weniger gestresst als die jüngeren. Sie haben eventuell eher das Gefühl, schon viele Einblicke in ihrem Studium erhalten zu haben und die Auswirkungen der aktuellen Situation auf das Studium besser einschätzen zu können. Am schlimmsten ist es für die Erstsemester, die im Oktober ihr Medizinstudium begonnen haben. Das sind im Großen und Ganzen die jungen Leute aus dem Abiturjahrgang, der schon im vorigen Jahr seine Abiprüfungen unter den besonderen Bedingungen ablegen musste.
Ist die psychische Belastung der Studierenden besonders hoch – höher als die anderer Menschen?
Dr. Guse: Wir haben schon einmal, im Jahr 2014, in einer vergleichbaren Studie die psychische Belastung von Erstsemesterstudierenden erfragt. Damals ergab sich für Ängste und Depressivität ein Wert von 2,65 auf einer Skala, die bis zwölf reicht. Jetzt liegt der Durchschnittswert bei 4,88, das ist schon ein bedenklich hoher Wert.
Prof. Bergelt: Ein Medizinstudium ist ein sehr forderndes Studium. Es gibt viele Studien dazu, dass die psychische Belastung von Medizinstudierenden normalerweise über dem der Durchschnittsbevölkerung liegt. Das haben wir auch in unseren ersten Befragungen für alle Jahrgänge so gefunden. Aktuell sind die Werte der Studierenden allerdings noch einmal höher als im vergangenen Jahr.
Wie lief die Befragung der Medizinstudierenden ab?
Dr. Guse: Wir haben sie dreimal befragt: Einmal außer der Reihe im Mai vorigen Jahres, einmal im Sommer zum Semesterende und einmal jetzt im März zum Ende des Wintersemesters. Etwa 1.300 der rund 1.700 eingeladenen Medizinstudierenden haben daran teilgenommen – ein sehr hoher Prozentsatz. Dadurch sind die Ergebnisse sehr aussagekräftig.
Welche Hilfen und Unterstützungsmaßnahmen stehen den Studierenden zur Verfügung?
Dr. Guse: Das UKE bietet Crashkurse für Studierende an, denen naturwissenschaftliche Grundlagen fehlen, und es gibt ein digitales Lehrbuch für Medizinstudierende, das den Weg durch das Modulstudium weist. Außerdem koordiniere ich ein Mentoringprogramm, in dem wir den Studierenden Gespräche zum Austausch sowie individuelle Unterstützung in vielfältiger Weise bieten. Dieses seit über zehn Jahren gut etablierte Programm, das von der Claussen-Simon-Stiftung gefördert wird, haben wir während der Pandemie sehr stark intensiviert, mit häufigen Onlinetreffen. Es wurde von den Studierenden auch besonders nachgefragt. Bei psychischen Problemen mit größeren Auswirkungen steht den Medizinstudierenden das ambulante Angebot der Klinik und Poliklinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie auf dem UKE-Gelände offen. Auch an die psychologische Beratung der Universität Hamburg können sie sich wenden.
Wie ging es Ihnen selbst während Ihrer Forschungstätigkeit?
Dr. Guse: Auch für uns Lehrende ist sehr viel weggefallen an Gewohntem. Nach den initialen, großen Veränderungen aufgrund der plötzlichen Digitalisierung von fast allen Arbeitsprozessen erlaubt dies gleichzeitig natürlich auch eine gewisse Flexibilität für Forschende und in der Projektarbeit. Mit zwei Kindern, davon einem, das sich im Homeschooling befindet, bin ich dankbar eine Tätigkeit ausüben zu dürfen, die Homeoffice ermöglicht. Gleichzeitig war es für mich persönlich ein Lernprozess bei all der Flexibilität und den neuen Möglichkeiten, den persönlichen Ausgleich nicht völlig zu vernachlässigen. Durch glückliche Umstände hatte ich die Möglichkeit, während der Pandemie wieder mit dem Reiten anzufangen. Die Auszeit draußen mit dem Pferd ist eine meiner wichtigsten Kraftquellen, und ich wünsche jedem, dass er nicht nur während der Pandemie seine persönlichen Ressourcen findet.
Prof. Bergelt: Die Pandemie macht auch vor uns nicht Halt. Die Situation stresst alle enorm. Auch für viele von uns Lehrenden war es im vergangenen Frühjahr ein Schock, komplett auf Digital umstellen zu müssen. Der Lockdown, die Abstandsregeln und Veranstaltungsverbote bedeuten Stress, für jeden. Und wenn es uns schon so geht, war unsere Vermutung, dass es für die Studierenden erst recht belastend ist. Für mich selbst kann ich sagen: Schön ist es nicht! Aber ich habe mich über die Monate mit den neuen Umgangsformen arrangiert. Für die Studierenden erhoffe ich mir, dass ab Herbst wieder mehr Präsenzveranstaltungen möglich sind, sei es auch in kleineren Gruppen und mit Abstand.