DMP Diabetes 2: Einschluss- und Umsetzungsqualität

Ingmar Schäfer, Hanna Kaduszkiewicz, Hendrik van den Bussche

Hintergrund

Im Jahr 2003 wurden die ersten Disease Management Programme (DMP) für Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 ins Leben gerufen, um mit einem strukturierten Behandlungsansatz die medizinische Versorgung dieser Patienten zu verbessern. Mehr als drei Jahre nach Beginn der DMP sind wichtige Fragen noch ungeklärt. Einerseits ist die Teilnahmerate niedrig. Im Jahr 2006 waren nur 50% der Patienten mit Diabetes Typ 2 in ein DMP eingeschlossen. Die Gründe für den Einschluss und Nichteinschluss von Patienten sind nicht bekannt. Es stellt sich die Frage, ob alle Patienten, die von einem DMP profitieren könnten, tatsächlich eingeschlossen wurden. Andererseits ist noch unklar, ob die Einführung von DMP tatsächlich zu einer besseren Versorgung von Patienten mit Diabetes Typ 2 führt. Die gesetzlich vorgeschriebene Evaluation ist in diesem Punkt nicht hilfreich, da die einzelnen Programme nur untereinander verglichen werden. Für eine Beurteilung der Effekte von DMP ist aber ein Vergleich mit der Regelversorgung erforderlich. Um die o.g. Fragen zu klären, fördert die Bundesärztekammer dieses Forschungsprojekt, mit dem die Qualität des Einschlusses von Patienten und der Umsetzung des DMP Diabetes Typ 2 in den Praxisalltag genauer analysiert werden sollen.

Projektziele

Im Fokus der Betrachtung stehen die Qualität des Einschlusses von Patienten und die Qualität der Umsetzung der DMP. Als Kriterien für den Einschluss von Patienten in ein DMP sind definiert: eine gesicherte Diagnose, die Bereitschaft des Patienten aktiv mitzuwirken und an Schulungen teilzunehmen sowie eine zu erwartende Verbesserung der Lebensqualität und Lebenserwartung.

Die Einschlussqualität wird anhand folgender Fragen beurteilt:

  • Werden diese Kriterien befolgt?
  • Welche anderen Kriterien sind ggf. wirksam?
  • Wie wird entschieden, wenn Gründe für und gegen den Einschluss eines Patienten vorliegen?

Die Beurteilung der Umsetzung der DMP wird an folgenden Fragen festgemacht:

  • Inwieweit werden die beabsichtigten Veränderungen des Versorgungsprozesses (z.B. Schulungen, regelmäßige Konsultationen und Untersuchungen) tatsächlich umgesetzt?
  • Gibt es Unterschiede in der Versorgung von teilnehmenden und nicht-teilnehmenden Patienten?
  • Wie verändern sich die therapeutischen Zielgrößen bei Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern?

Methodik

Die Untersuchung besteht aus zwei Teilen, die sich gegenseitig ergänzen. Einerseits wird die Perspektive von Ärzten und andererseits die Patientensicht auf den Versorgungsprozess untersucht.

Telefonische Versichertenbefragung: Die Befragung wurde durch ein ärztliches Beratungscenter (ife Gesundheits-AG, Nehmten) durchgeführt. Die Interviewer waren ausschließlich praktizierende Ärzte, die durch das Projektteam vor Ort speziell für das Projekt geschult wurden. Aus dem Versichertenstamm der Gmünder ErsatzKasse (GEK), einer Krankenversicherung mit 1,7 Millionen Versicherten wurde konsekutiv eine Zufallsstichprobe von 826 DMP-Teilnehmern und 1812 Nicht-Teilnehmern gezogen. Patienten wurde in die Studie eingeschlossen, wenn eine Diagnose von Diabetes Typ 2 nach ICD10 (E10, E11, E12, E14) in den Versichertendaten vorlag und sie mindestens 40 Jahre alt waren. Die Diagnose wurde im Interview zusätzlich verifiziert. Nach 10 Monaten wurde ein Follow-Up durchgeführt.

Analyse hausärztlicher Patientendaten: Case-Control-Studie, bei der anonymisierte Daten aus der Patientenkartei erhoben und Interviews mit den behandelnden Hausärzten durchgeführt wurden. Dabei wurden aktuelle Daten und retrospektiv Daten zum Zeitpunkt des Einschlusses in das DMP bzw. eines vergleichbaren Datums bei Nicht-Teilnehmern erhoben. Die Datenerhebung wurde in vier deutschen Städten (Hamburg, Berlin, Bremen und Region Düsseldorf) vor Ort durch speziell geschulte und supervidierte Untersucherinnen durchgeführt. DMP-Teilnehmer und Nicht-Teilnehmer wurden von den Projektmitarbeiterinnen zufällig ausgewählt und für die Zustimmung zur Datenerhebung kontaktiert. Die Datenerhebung erstreckte sich auf den Zeitraum vom 10.07.2007 bis zum 16.06.2009.

Ergebnisse

In der telefonischen Versichertenbefragung konnten 444 in das DMP eingeschlossene und 494 nicht eingeschlossene Versicherten zur Baseline befragt werden. Im Follow-Up konnten 79% bzw. 70% der Baseline-Teilnehmer erneut befragt werden. Insgesamt gaben die Teilnehmer eine bessere Prozessqualität als die Nicht-Teilnehmer am DMP an, d.h. DMP-Teilnehmer hatten subjektiv eine bessere Chance auf eine Diabetes-Schulung, mindestens 4 Kontakte im letzten Jahr mit dem behandelnden Arzt, wenigstens eine Fußuntersuchung im letzten Jahr, einen Diabetes-Pass, wenigstens eine Überweisung zu einem Augenarzt im letzten Jahr oder einen Diabetologen als behandelnden Arzt. Hinsichtlich der Erreichung der untersuchten Ergebnisparameter (HbA1c, Blutdruck, BMI, Symptome des Diabetes, Stoffwechselentgleisungen, Rauchstatus, subjektive Gesundheit, Behandlungszufriedenheit, subjektive Belastung durch die Therapie, Selbstmanagementfähigkeit und Therapieadhärenz) fanden sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Von den Nicht-Teilnehmern am DMP lehnten 59% die Teilnahme aktiv ab, 29% hätten Interesse an einer Teilnahme und 12% gaben an, nie von einem DMP gehört zu haben.

In der Analyse hausärztlicher Patientendaten konnten insgesamt 586 in das DMP eingeschlossene und 250 nicht eingeschlossene Patienten in 51 Praxen für die Studie rekrutiert werden. Die Chance, am DMP teilzunehmen, scheint von den Faktoren Alter, Geschlecht, Krankheitsdauer und Symptomen einer Depression unabhängig zu sein. Allerdings scheinen die folgenden Faktoren für den Einschluss in das DMP eine große Rolle zu spielen: Risikoprofil (Rauchstatus, Blutdruck), das Einnehmen von oraler Medikation, Aktivitätsrate (Blutzuckerselbstkontrolle mit Blutsticks, Teilnahme an einer Diabetes-Schulung vor Einschluss), hohe Motivation. Für alle oben genannten Faktoren wird allgemein ein stark positiver Einfluss auf die Behandlung und Prognose des Diabetes angenommen. Da jeder der Faktoren die Chance, in das DMP eingeschlossen zu werden, nahezu verdoppelt (bzw. die Motivation diese Chance sogar vervierfacht), gehen wir davon aus, dass Teilnehmer und Nicht-Teilnehmer am DMP durchschnittlich sehr unterschiedliche Chancen haben, ihre Erkrankung positiv zu beeinflussen. Für DMP-Teilnehmer ergab sich eine leicht bessere Ergebnisqualität hinsichtlich der Verringerung des Blutdrucks. Unter Berücksichtigung des o.g. Selektionseffektes ist es allerdings fragwürdig, ob diese Unterschiede auf das DMP und nicht eher auf die unterschiedliche Ausgangslage der Patientengruppen zurückzuführen ist.

Veröffentlichungen

Schäfer I, Küver C, Gedrose B, von Leitner E, Treszl A, Wegscheider K, Bussche van den H, Kaduszkiewicz H. Selection effects may account for better outcomes of the German Disease Management Program for type 2 diabetes. BMC Health Serv Res. 2010;10:351

Schäfer I, Küver C, Gedrose B, Hoffmann F, Russ-Thiel B, Brose H, Bussche van den H, Kaduszkiewicz H. The disease management program for type 2 diabetes in Germany enhances process quality of diabetes care - a follow-up survey of patient's experiences. BMC Health Serv Res. 2010;10:55

Förderer: Bundesärztekammer (06-152).

Laufzeit: Oktober 2006 bis Juni 2009.

Ansprechpartner: Ingmar Schäfer