Entwicklung und Validierung von Qualitätsindikatoren für Multimorbidität (MULTIqual)
Josefine Schulze1, Nadine Pohontsch 1, Heike Hansen 1, Ingmar Schäfer 1, Anja Rakebrandt 1, Dagmar Lühmann 1, Katharina Glassen2, Amanda Breckner2, Joachim Szecsenyi2, Eva Blozik3, Martin Scherer 1
1Institut und Poliklinik für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (Konsortialführung)
2Abteilung für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Universitätsklinikum Heidelberg (Konsortialpartner)
3Institut für Hausarztmedizin, Universität Zürich
Hintergründe und Ziele
Aufgrund der steigenden Lebenserwartung gewinnt die Behandlung älterer Patient:innen mit mehreren Erkrankungen zunehmend an Bedeutung. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass ca. 62% der älteren Bevölkerung in Deutschland multimorbide sind, also wegen drei oder mehr chronischen Erkrankungen behandelt werden. In der Behandlung von Patient:innen mit Multimorbidität kann es passieren, dass es zu Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Krankheiten kommt oder sich Therapieempfehlungen für verschiedene Erkrankungen widersprechen. Dennoch orientieren sich traditionelle Leitlinien und Qualitätsindikatoren meist an Einzelerkrankungen. Patient:innen kann die reine Menge an Behandlungen übermäßig stark beanspruchen. Hausärzt:innen stehen bei der Versorgung dieser Patient:innengruppe daher immer vor der Aufgabe, die Behandlung vor dem Hintergrund der individuellen Prioritäten und Bedürfnisse einerseits und den Ansprüchen wissenschaftlich fundierter Medizin andererseits zu gestalten. Die Gesundheitsversorgung von Menschen mit Multimorbidität ist daher oft komplex, herausfordernd und fragmentiert - und damit anfällig für Qualitätsdefizite. Ziel dieses Projekts war es, ein Set von generischen Qualitätsindikatoren für die Versorgung älterer Patient:innen mit Multimorbidität zu entwickeln, das als Bezugsrahmen eine Orientierungshilfe bietet, um die Versorgungsqualität multimorbider Patienten abbilden zu können.
Design und Methodik
Basierend auf einer systematischen Literaturrecherche und acht moderierten Fokusgruppen mit multimorbiden Patient:innen sowie deren Angehörigen wurden Indikatorenvorschläge erarbeitet. Diese wurden in einem zweistufigen, strukturierten Konsensusverfahren von einem multidisziplinären Expert:innenpanel (n=23) nach standardisierten Kriterien beurteilt und konsentiert. An einer Stichprobe von 35 hausärztlichen Praxen und 346 Patient:innen ab 65 Jahren mit drei oder mehr chronischen Erkrankungen wurden Erfüllungsgrad, Machbarkeit, Diskriminationsfähigkeit und Notwendigkeit von Maßnahmen zur Risikoadjustierung für die vorläufigen Indikatoren ermittelt.
Ergebnisse
Anhand von publizierten Leitlinien und Indikatoren wurden 43 Indikatorenvorschläge zusammengestellt. Weitere vier Indikatorenvorschläge wurden anhand der in Fokusgruppen diskutierten Qualitätsziele abgeleitet. Das Expert:innenpanel konsentierte ein vorläufiges Set von 25 Indikatoren, von denen drei aufgrund mangelnder Machbarkeit und Trennschärfe nach der Analyse in der Anwendungsstudie ausgeschlossen wurden.
Implikationen für Forschung und Praxis
Im Projekt MULTIqual wurde ein breit abgestütztes Indikatorenset für die Versorgung älterer Menschen mit Multimorbidität mit guten Messeigenschaften für die Anwendung im Forschungskontext und im hausärztlichen Setting entwickelt. Anhand der Performance in untersuchten Praxen können Hinweise auf den aktuellen Stand der Versorgung dieser Patient:innengruppe in Deutschland erhalten und Bereiche mit Verbesserungspotenzial aufgezeigt werden. Darüber hinaus können die Qualitätsindikatoren dazu beitragen, die hausärztliche Versorgung im Bereich Multimorbidität langfristig zu stärken und Standards in der Behandlung zu etablieren.
Handbuch zur Anwendung der Qualitätsindikatoren in der Praxis
Weitere Veröffentlichungen
Förderer: Innovationsfond des G-BA
Laufzeit: 2017 bis 2020
Partner: Universitätsklinikum Heidelberg
Ansprechpartner: Dagmar Lühmann Josefine Schulze