Karikatur “The Silent Highway Man”
Eine Grafik aus aus dem Jahr 1858 zeigt den Sensenmann in einem Boot auf der Themse, um ihn schwimmende tote Kreaturen in der Kloake – ein mahnender Hinweis mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf die todbringende Wirkung des Flusses. Unter dem Titel „The Silent Highway Man“ wurde sie in der britischen Zeitschrift „Punch“ veröffentlicht. „Punch“ oder „The London Charivari“ war eine satirische Zeitschrift, die 1841 in London gegründet wurde. Später prägte sie den Begriff Cartoon als Bezeichnung für eine komische oder satirische Zeichnung.
Als „Silent Highway“ bezeichneten Romantiker die Londoner Themse im frühen 19. Jahrhundert. Schon als das Bild veröffentlicht wurde, stand fest: Die Ursachen für die häufigen Cholera-Epidemien waren auch im Fluss zu suchen. Das hatten die Untersuchungen des Arztes John Snow (1813–1858) ergeben. Der Londoner Arzt hatte 1854 nach einer Epidemie mit Tausenden von Toten festgestellt, dass besonders im Umkreis eines Brunnens viele Menschen von der Krankheit betroffen waren. Seine Schlussfolgerung: Das verschmutzte Wasser war verantwortlich. Mit dem Nachweis des Erregers im Jahr 1884 konnte Robert Koch (1843–1910) die Übertragung durch Bakterien beweisen.
1858 hatte ein außergewöhnlich heißer Sommer in London den Wasserstand der Themse so stark abgesenkt, dass diese sich wie eine furchtbar stinkende Kloake durch das Stadtgebiet zog. Schuld am "Great Stink" war eine populär gewordene Neuerung in den Wohnungen: Die Einführung von häuslichen "Wasserklosetts" (WC) hatte zur Folge, dass immer mehr ungereinigte Abwässer in den Fluss gespült wurden. Der Gestank war widerwärtig, das Parlament konnte in seinem an der Themse gelegenen Palace of Westminster kaum noch tagen, und im nahen Gerichtsviertel mussten die Prozesse häufig vorzeitig abgebrochen werden. Wie in vielen anderen europäischen Städten kam es auch in London zu regelmäßigen Ausbrüchen der Cholera. Die Erkenntnisse Snows veranlassten die Stadt schließlich zum Handeln: Ein modernes Abwassersystem wurde errichtet, dass den Ausbruch weiterer großer Epidemien verhinderte.
In Hamburg zweifelte der Senat noch 1892 die bakteriellen Ursachen der Cholera an und verwies auf die Ideen Max von Pettenkofer (1818–1901), der Umweltbedingungen für den Ausbruch der Epidemien verantwortlich machte. Noch immer glaubte man, die Cholera sei ein durch die Luft übertragenes Miasma. Die Infektionskrankheit hätte in Hamburg vermutlich nicht so viele Opfer gekostet, wenn man aus den Erfahrungen der britischen Hauptstadt gelernt hätte. Auch zahlreiche Mahnungen und Hinweise deutscher Wissenschaftler wurden lange ignoriert.
Der Choleraerreger verursacht noch heute laut WHO jährlich zwischen drei und fünf Millionen Erkrankungen und rund 100 000 Todesfälle. Die Seuche wird vor allem in Katastrophengebieten gefürchtet, etwa nach Erdbeben. Einige Wissenschaftler/innen rechnen gar mit einer Renaissance der Cholera als Folge der globalen Erwärmung. Immerhin ist die Cholera heutzutage heilbar: mit Antibiotika gegen die Erreger und mit ausreichender Flüssigkeitszufuhr, um dem raschen Verlust von Körperflüssigkeit entgegenzuwirken.
Autorin: Edith Ghetta