Schutzpocken-Impfungs-Schein
Der hier abgebildete Schutzpocken-Impfungs-Schein erscheint wie ein Relikt aus längst vergangener Zeit. Doch viele von Ihnen dürften in ihrem eigenen Impfpass noch einen Vermerk zur Impfung gegen die Pocken finden, denn bis 1976 wurde in der Bundesrepublik Deutschland gegen die tödliche Seuche geimpft.
Die Geschichte der Pockenimpfung führt uns nach Berkeley in Großbritannien in das Jahr 1796. Dort impfte der Arzt Dr. Edward Jenner einen Jungen mit der klaren Flüssigkeit aus der Pocke am Euter einer Kuh: Ein Menschenversuch. Jenner hatte beobachtet, dass Bäuerinnen, die sich beim Melken mit den Kuhpocken infizierten, eine Immunität gegen die Pocken entwickelten. Zur Probe identifizierte Jenner den Jungen kurz darauf mit den hochansteckenden Menschenpocken. Das Kind erkrankte nicht.
Als erster Arzt in Deutschland hatte ab November 1799 der Brandenburger Stadtphysikus Johann Carl Sybel (1775-1816) nachweislich Impfungen mit Kuhpocken durchgeführt. Der erste Staat der Erde, der eine Impfpflicht anordnete, war 1808 Bayern. Schon im Jahr 1802 ordnete der preußische König Friedrich Wilhelm III. die Einrichtung des Königlichen Schutzpocken-Impfungs-Institutes an, das mit der Impfung der Zivilbevölkerung betraut wurde.
Das Institut befand sich in einem Berliner Waisenhaus und führte jeweils sonntags von 12-14 Uhr kostenlose Impfungen durch. Doch trotz aller Ausweitungen der Gegenmaßnahmen breiteten sich die Pocken weiter aus. 1826 traten die Vorschriften die Impfung der Schutzblattern und die polizeilichen Maßregeln beim Ausbruche Menschenpocken betreffend in Kraft. Sie sahen unter Paragraph 5 eine „unentgeltliche Ausstellung einheitlicher Impfscheine nur für Personen mit erfolgreicher Impfung“ vor. Auf diese Zeit verweist unser Exponat, denn ab diesem Zeitpunkt erhielten geimpfte Personen einen Impfschein.
In den Jahren 1870 und 1871 war es während des Deutsch-Französischen Krieges zu einer erneuten Pockenepidemie gekommen, die zu zahlreichen parlamentarischen Anfragen zur Einführung einer Impfpflicht führten und die 1874 in das vom Kaiser unterzeichnete Reichsimpfgesetz mündeten. Mit dem Reichsimpfgesetz trat erstmals reichsweit eine allgemeine Impfpflicht in Kraft, die sich vor allem auf die neuartige Vaczination (nach lat. vacca, die Kuh) mit den Kuhpocken bezog. Dem Reichsimpfgesetz war, ganz ähnlich den Vorgängen zur Zulassung eines Impfstoffes heutzutage, eine Studie vorangegangen, welche die Wirksamkeit der Impfung bestätigte.
Unter Paragraph 10 des Reichsimpfgesetzes ist vermerkt, dass über jede Impfung vom ausführenden Arzt ein Impfschein ausgestellt werden muss, aus dem der volle Name des Impflings sowie das Datum der Impfung hervorgeht.
Auch der vorliegende Impfschein enthält die entsprechenden Informationen, auch wenn er viele Jahrzehnte zuvor ausgestellt wurde. Die geimpfte Person, Viktoria, geboren am 1. Dezember 1806, wurde im Jahr 1808 geimpft.
Woher die Ärzte das zweifelsfrei wissen konnten? Die dritte Zeile des Impfscheins gibt Aufschluss: Dort ist von einer Impf. Liste die Rede, welcher sich bedient wurde, um im Jahr 1842 nachträglich diesen Impfschein auszustellen.
Unser Objekt zeugt also von einer langen medizin- sowie polithistorischen Geschichte. Es ist die Geschichte einer Häufung an Krankheitsfällen, der Entdeckung eines Impfstoffes, dem Beweis der Wirksamkeit dieses Impfstoffes und schlussendlich der Massenimpfung bis hin zur Ausrottung der Pocken, welche die WHO am 26. Oktober 1979 verkünden konnte.
Literatur:
Frick, Karl: Zur Geschichte der ersten Schutzpocken-Impfungen im Rheinland, in: Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften, Bd. 43, Nr. 3., 1959.
Fürst, Livius: Die Pathologie der Schutzpocken-Impfung, Berlin 1896. Hess, Bärbel-Jutta: Seuchengesetzgebung in den deutschen Staaten und im Kaiserreich vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis zum Reichsseuchengesetz 1900, Heidelberg 2009. Kiel,
Dr. Franz Seraph: Die Schutzpocken-Impfung in Bayern vom Anbeginn ihrer Entstehung und gesetzlichen Einführung bis auf gegenwärtige Zeit, dann mit besonderer Beobachtung derselben in auswärtigen Staaten, München 1830.
Wolff, Eberhard: Einschneidende Maßnahmen. Pockenschutzimpfung und traditionale Gesellschaft im Württemberg des frühen 19. Jahrhunderts (=Medizin, Gesellschaft und Geschichte, Beiheft 10), Stuttgart 1998.
Internetquelle:
https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag-who-pocken-ausrottung-100.html
(letzter Aufruf am 22.03.2020)
Autorin: Johanna Salzbrunn