Fazialisparese / Gesichtslähmung

Der bedeutendste motorische Gesichtsnerv, der Nervus facialis, ist für nahezu alle Gesichtsmuskeln der entscheidende Taktgeber und ermöglicht uns somit auf vielfältige Art und Weise mit unseren Mitmenschen zu kommunizieren und zu interagieren.

Durch ihn vermitteln wir unserem Gegenüber in natürlicher Weise eine Vielzahl von Gefühlen und Gemütszuständen, wie beispielsweise Freude, Trauer und Zufriedenheit.

Neben der Steuerung der mimischen Muskulatur erfüllt der Nervus facialis eine ganze Reihe weiterer Funktionen, wie Lidschluss, Geschmackswahrnehmung, Speichel- und Tränensekretion.

Aufgrund unterschiedlicher Ursachen, beispielsweise Entzündungen, Verletzungen oder Tumorleiden, kann es zu einer Lähmung des Nervus facialis, einer Fazialisparese, kommen. In den häufigsten Fällen (ca 75%) kann allerdings keine spezifische Ursache für die Fazialisparese gefunden werden. Diese Form wird auch als idiopathische Fazialisparese oder Bell-Parese, nach dem schottischen Chirurgen Sir Charles Bell (1774-1842), benannt.

Mit etwa 17-35 Erkrankungen auf 100.000 Personen pro Jahr ist die Fazialisparese die häufigste Hirnnervenlähmung.

Bildet sich die Lähmung nicht innerhalb der ersten Wochen durch eine spezifische Therapie oder spontan zurück, können häufig sehr belastende Funktionseinschränkungen verbleiben.

  • Klinische Symptomatik:

    Je nach Lokalisation der Schädigung (zentral/peripher) und Ausprägung (komplett/inkomplett) können folgende Beschwerden auftreten:

    • schlaffe Lähmung der Gesichtsmuskulatur
    • entstellende Gesichtsasymmetrie mit hängendem Mundwinkel, verstrichener Nasenlippenfurche und/oder Brauentiefstand mit Verstärkung beim Lächeln
    • krampfartige, unwillkürliche Muskelzuckungen (Syn-/Dyskinesien)
    • Einschränkung des Lidschlusses (Bell-Phänomen) mit hängendem Unterlid durch Lähmung des Augenringmuskels (M.orbicularis oculis) und ggf chronischer Hornhautentzündung mit dem Risiko einer Erblindung
    • unvollständiger Mundschluss mit oraler Inkontinenz und Beeinträchtigung der Artikulation und Nahrungsaufnahme
    • Geräuschüberempfindlichkeit durch Lähmung des Steigbügelmuskels (M.stapedius)
    • Beeinträchtigung der Nasenatmung
    • Geschmacksstörungen im Bereich der vorderen Zunge
    • Mundtrockenheit
    • psychische Folgeerkrankungen durch soziale Isolation und Depression (bis zu 65% der Patienten)

    Neben den häufig nicht unerheblichen Funktionseinschränkungen spielt die oft entstellende Gesichtsasymmetrie und die Beeinträchtigung der sozialen Interaktion mit all ihren Folgen für unsere Patienten eine bedeutende Rolle. Ein großer Anteil der Patienten mit Fazialisparese leidet dabei besonders unter dem Verlust ihres natürlichen Lächelns.

    Bildet sich die Fazialisparese nicht innerhalb von 18 Monaten zurück, spricht man von einer Irreversibilität. Eine Besserung ist dann nicht mehr zu erwarten.

  • Diagnostik:

    Die Diagnosestellung und ursächliche Abklärung einer Fazialisparese erfolgt in interdisziplinärer Zusammenarbeit. Hier werden insbesondere kausal zu behandelnde Ursachen der Fazialisparese wie beispielsweise Infektions- (Borreliose, VZV) und Tumorerkrankungen abgeklärt.

    Des Weiteren werden elektrophysiologische Untersuchungen wie die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit und die Messung der Muskelaktivität (Elektromyographie) durchgeführt, um Lokalisation und Ausprägung der Fazialisparese zu bestimmen.

  • Therapie:

    In den Universitätskliniken Hamburg-Eppendorf wird das gesamte Spektrum der konservativen und operativen Therapieoptionen in enger interdisziplinärer Abstimmung angeboten.

    Da die häufigste Form, die idiopathische Fazialisparese sehr oft eine spontane Rückbildung zeigt, erfolgt zunächst eine konservative Behandlung zur Vermeidung von Langzeitschäden. Diese beinhaltet in der Regel unter anderem Physiotherapie und die Anwendung von künstlicher Tränenflüssigkeit und Uhrglasverbänden, um eine nachhaltige Schädigung des Auges zu vermeiden.

    Insbesondere bei einer kompletten Fazialisparese ohne Besserung innerhalb der ersten Wochen nach Auftreten, steigt jedoch die Wahrscheinlichkeit für das Verbleiben von Lähmungserscheinungen deutlich.

    Für das Verständnis der Erkrankung und deren zeitgerechte Behandlung spielen die pathophysiologischen Prozesse der Nervenheilung und Muskeldegeneration eine entscheidende Rolle.

    Wird die mimische Muskulatur nicht mehr durch die natürlichen Nervenimpulse stimuliert, kommt es durch die Degeneration der motorischen Endplatten (Verknüpfung von Nerv und Muskel) und des sich anschließenden fettigen Umbaus der Muskulatur spätestens 15-18 Monate nach Beginn der Symptomatik zum andauernden Funktionsverlust mit bleibenden Beschwerden.

    Die Nervenregeneration beträgt selbst bei optimalen Voraussetzungen lediglich etwa 1mm/Tag. Die relativ langsame Nervenheilung muss in der Entscheidungsfindung für ein individualisiertes therapeutisches Regime Beachtung finden. Besteht daher auch 6 Monate nach Symptombeginn keine Besserung der Beschwerdesymptomatik, sollte eine operative Therapie erwogen werden, um ausreichend Zeit zu haben, noch intakte Gesichtsmuskeln zu reinnervieren.

    Wir empfehlen daher beim Ausbleiben einer Besserung der Symptomatik etwa 4 Monate nach Symptombeginn die Vorstellung in unserer Abteilung zur Besprechung möglicher schonender muskelerhaltender operativer Therapien.

  • Prinzipien und Arten der operativen Therapie:

    In unserer Abteilung wird das gesamte Spektrum der operativen Therapie der Fazialisparese angeboten. Dabei ist es unsere Philosophie in enger interdisziplinärer Zusammenarbeit und nach ausführlicher Aufklärung in Absprache mit dem Patienten einen individualisierten Therapieplan festzulegen.

    Ziel der Therapie ist es möglichst, die natürliche Funktion zu erhalten, beziehungsweise wiederherzustellen und Folgeschäden zu vermeiden.

    Prinzipiell können die operativen Verfahren in dynamische und statische unterteilt werden. Dabei erlauben dynamische Verfahren eine willkürliche Ansteuerung der Muskulatur. Die statischen Verfahren, wie beispielsweise Sehnenaufhängungen, dienen in erster Linie der Verbesserung der Gesichtsasymmetrie in Ruhe.


    Nervenrekonstruktion:

    Sollte es zur einer traumatischen Fazialisläsion gekommen sein, ist die primäre Nervennaht oder bei einem Nervendefekt die Rekonstruktion mit einem Nerveninterponat die aussichtsreichste Therapie. Die Therapie sollte möglichst umgehend erfolgen.


    Neurotisation / Muskelerhaltende Verfahren:

    Ziel einer Neurotisation, also der Wiederherstellung der Muskelansteuerung durch den Nerv, ist die Reanimation der noch intakten mimischen Muskulatur. Da die Muskulatur ohne Stimulation der Nerven aufgrund von Umbauvorgängen nach spätestens 18 Monaten nicht mehr zu reanimieren ist und die Nervenheilung nur relativ langsam voranschreitet, besteht hier oft die Notwendigkeit zeitnah, etwa innerhalb 6 - 12 Monate nach Beschwerdebeginn, zu handeln.

    Cross-Face Nerve Graft (CFNG):
    Bei diesem Verfahren kann durch ein Nerventransplantat, in der Regel vom Unterschenkel, erreicht werden, dass die noch intakte mimische Muskulatur der erkrankten Seite durch den Fazialisnerv der gesunden Gesichtshälfte innerviert wird. Des Weiteren kann dieses Verfahren als Ergänzung zu einer gleichseitigen Nervenumlagerung (N.massetericus) und als Bestandteil einer freien Muskelverpflanzung eingesetzt werden.

    N. massetericus- Transfer:
    Bei dieser Operation werden Anteile von Nervenfasern des großen Kaumuskels (M.masseter) umgeleitet, um somit eine Reinnervation zu erreichen. Ein Vorteil besteht in einer oft kürzeren Heilungsphase. Als nachteilig kann sich, trotz intensiver Physiotherapie, eine geringer ausgeprägte Spontanität des Lächelns erweisen. Auch dieses Verfahren kann in Kombination mit beispielsweise dem CFNG oder einem freien Muskeltransplantat Anwendung finden.

    Hypoglossus-Fazialis-Anastomose:
    Hierbei handelt es sich um eine Nervenumlagerung von Nervenfasern des N. hypoglossus (XII. Hirnnerv), um somit die Reinnervation der gelähmten mimischen Muskulatur zu erreichen.


    Muskelersetzende Verfahren:

    Besteht bei chronischer Fazialisparese nicht mehr die Möglichkeit die ursprünglichen Gesichtsmuskeln zu reinnervieren, stellen Operationen, die durch Muskelumlagerungen oder -Transplantationen die Funktion verbessern, eine Option dar.

    Freie Gracilis-Muskeltransplantation:
    Bei diesem Verfahren werden Anteile des schlanken Oberschenkelmuskels (M. Gracilis) entnommen und als Muskelersatz in die gelähmte Wangenregion eingebracht. Dabei erfolgt ein mikrochirurgischer Anschluss der entsprechenden Begleitgefäße Nerven im Gesicht. Eine Innervation kann hier durch ein vorangegangenes Nerventransplantat (CFNG) und/oder den N.massetericus erfolgen.

    Gestielter Temporalis-Muskeltransfer:
    Durch die Umlagerung von Anteilen des Schläfenmuskels (M.temporalis) können Lidschluss (modifizierte Gillies-Operation) oder die Mundwinkelhebung beziehungsweise das Lächeln (modifizierte McLaughlin-Plastik) verbessert werden.


    Statische und ergänzende Operationen:

    Diese Verfahren können als weitere, gegebenenfalls ergänzende Bestandteile in der Therapie dienen, um ein natürlicheres Erscheinungsbild und eine Funktionsverbesserung zu erreichen. Sie helfen insbesondere die Ruhesymmetrie in den entsprechenden Regionen des Gesichtes zu verbessern.

    Auge/Stirn:
    Bei deutlichem Brauentiefstand in Folge einer Fazialisparese kann ein Brauen-Lifting, also das Anheben der Augenbraue auf der erkrankten Seite erfolgen. Um eine chronische Schädigung aufgrund des unvollständigen Lidschlusses zu vermeiden, ist es häufig neben der konservativen Therapie notwendig, den Schutz des Auges durch die Beschwerung des Oberlides mit einem unter der Haut liegendem Titanimplantat zu gewährleisten. Des Weiteren kann durch eine Unterlidplastik bzw. -aufhängung das abstehende Unterlid wieder an den Augapfel herangeführt und so dem chronischen Tränenträufeln und dem Austrocknen des Auges entgegengewirkt werden.

    Nase:
    Die zum Teil optisch auffallend verstrichene Nasolabialfalte (Nasenlippenfurche) sowie ein verzogener Nasenflügel infolge der Fazialisparese können durch Faszienaufhängung und Neuformung der Nasolabialfalte dem Erscheinungsbild der gesunden Seite angenähert werden.

    Wange und Mundwinkel:
    Zur Anhebung des Mundwinkels und der abgesunkenen Wangenregion besteht die Möglichkeit einer statischen körpereigenen Faszienaufhängung, um die Ruhesymmetrie des Gesichtes zu verbessern. Der dazu benötigte Bindegewebsstreifen (Faszie) wird dafür schonend aus dem Oberschenkel entnommen.