Bärenstarke Eisprinzessin
Wenn Emma das Haus verlässt, dann am liebsten als Prinzessin Elsa aus dem Film „Die Eiskönigin“ – mit viel Tutu ganz in Hellblau und Rosé. Emmas Eltern haben ihre Krankheit heute gut im Griff: Die Vierjährige leidet an der seltenen Stoffwechselstörung Glutarazidurie.
Verschmitzt blickt Emma zu ihrer Mutter, bevor sie sich ein Stück Paprika in den Mund schieben will. „Stopp!“, ruft diese. „Wir müssen die Paprika doch erst wiegen.“ Das weiß Emma natürlich ganz genau – und sie hält sich daran. Alles, was die Vierjährige isst, muss zuvor auf die Waage. Die genaue Grammzahl der Lebensmittel trägt ihre Mutter in eine Liste ein. Ein täglicher Balanceakt, der für Emma lebenswichtig ist.
Alles beginnt mit einem Anruf aus dem Uniklinikum München, fünf Tage nach Emmas Geburt. „Ich war mit dem Kinderwagen im Park spazieren, als mein Mann sich meldete und sagte, wir müssten sofort in die Klinik fahren“, erinnert sich Mutter Katrin Goldschmidt-Dreyer. Das Neugeborenen-Screening hatte bei Emma Anzeichen für die seltene Stoffwechselstörung Glutarazidurie Typ 1 ergeben. Dieser genetisch bedingte Enzymdefekt führt dazu, dass der Körper die Aminosäure Lysin nicht richtig abbauen kann. Die dadurch entstehende Glutarsäure reichert sich im Gehirn an und führt zu einem Verlust von Nervenzellen, die vor allem für die Motorik und Sprache zuständig sind. „Prof. Muntau klärte uns ausführlich und so einfühlsam auf, dass wir anschließend schon viel hoffnungsvoller in die Zukunft schauten“, erzählt Katrin Goldschmidt-Dreyer.
Es dauert ein Jahr und zahlreiche Tests, bis die Diagnose endgültig feststeht. In ihren ersten Lebensmonaten erhält Emma Muttermilch in Kombination mit künstlicher Nahrung, um täglich einen bestimmten Lysinwert zu erreichen, ohne ihn zu überschreiten. Die anfallende Glutarsäure wird über eine winzige Menge Carnitin gebunden, die Emma über eine kleine Spritze in den Mund bekommt. Die Familie hält sich von Anfang an streng an die vorgeschriebene Diät und doch versetzt sie die Krankheit in ständige Alarmbereitschaft. „Jeder kleine fiebrige Infekt ist für Emma bedrohlich“, schildert ihre Mutter, „da der Körper die benötigte Energie nicht zur Verfügung stellen kann.“ Ohne eine schnelle Notfallbehandlung würden die Kinder innerhalb kürzester Zeit wesentliche motorische Fähigkeiten verlieren, plötzlich nicht mehr laufen, sitzen und sprechen können. „Insgesamt 34 Mal waren wir in den letzten Jahren in der Klinik wegen fiebriger Infekte, eine Zeitlang jede zweite Woche“, so Katrin Goldschmidt-Dreyer. Auf Station erhält ihre Tochter Glukose – meist intravenös – damit ihr Körper nicht eigene Energievorräte nutzt.
Die heikle Zeit mit den meisten Kleinkind-Infekten hat Emma bald überstanden. Im vergangenen Winter musste sie gar nicht in der Klinik behandelt werden. Mit sieben Jahren, wenn die sensible Phase der Hirnentwicklung abgeschlossen ist, kann auch die lysinarme Diät etwas gelockert werden. Die kleine Eisprinzessin freut sich schon heute darauf, dann einmal mehr als eine winzige Kugel Eis essen zu dürfen.