„Jeder sollte sich mit seinen Zähnen wohlfühlen“
Dass Zahnspangen in sind, hätte Aaron nicht gedacht. Diesmal hat unser Kinderreporter Prof. Dr. Bärbel Kahl-Nieke, Direktorin der Poliklinik für Kieferorthopädie, buchstäblich auf den Zahn gefühlt.
Das ist Aaron (10). Er besucht die 4. Klasse der Grundschule Rothestraße.
Mutter und Onkel trugen Zahnspangen, er selbst braucht noch keine. In seiner Freizeit spielt Aaron Fußball und Gitarre, singt im Chor. Zudem liest er viel und gern, am liebsten Detektivgeschichten.
Prof. Dr. Bärbel Kahl-Nieke hat ein Buch über Zahnklammern in der Kieferorthopädie geschrieben. Es ist inzwischen in dritter Auflage erschienen.
Aaron: Wann sollten Kinder und Erwachsene eine:n Kieferorthopäd:in aufsuchen?
Prof. Kahl-Nieke: Am besten wäre es, wenn Kinderärzt:innen auf die Zähne der Kinder schauen, sobald der erste Zahn da ist, damit man keine Auffälligkeit verpasst. Spätestens aber im Alter von zehn Jahren, wenn sich erste Milchzähne erneuert haben, weitere folgen, sollten Kinder zur Kieferorthopäd:in kommen. Selbst im hohen Alter können wir noch etwas kieferorthopädisch verbessern, wenn Erwachsene etwa nicht richtig beißen, sprechen oder kauen können.
Warum ist es wichtig, dass Zähne gerade stehen?
Jeder sollte sich mit seinen Zähnen wohlfühlen, sie sollten gut funktionieren, auch gerade aussehen. Heutzutage sprechen wir von Mundgesundheit: Wenn im Mund etwas nicht stimmt, kann sich dies auf vieles andere auswirken. Nicht nur auf die Aussprache, sondern zum Beispiel auch auf die Verdauung. Wer nicht gut kauen kann, nur größere Brocken schluckt, bekommt Probleme mit dem Magen.
Was können Kinder und Erwachsene dafür tun, dass Zähne gar nicht erst schief werden und nach einer Korrektur gerade bleiben?
Vor allem sollten Kinder wie Erwachsene ihre Zähne und ihren Kiefer selbst beobachten und gründlich putzen.Und natürlich regelmäßig zu Kontrollen zu uns Kieferorthopäd:innen kommen – Vorbeugen nennen wir das.
Welche Möglichkeiten gibt es generell, Zähne zu richten?
Es gibt eine Vielzahl an Zahnklammern, die unterschiedlich wirken. Einige nutzen, das kennt man vielleicht aus dem Physikunterricht, das so genannte Drehmoment: Dann wirken sie nicht nur auf die Stellung der Zähne ein, sondern auch auf ihre Wurzeln und damit auf deren Position im Kiefer.
Welche Arten von Zahnspangen gibt es?
Es gibt lose Zahnklammern, die man herausnehmen und wiedereinsetzen kann. Sie können Zähne lediglich kippen. Erst feste Zahnklammern sorgen für eine genauere Korrektur und das Drehmoment. Soll auch der Kiefer selbst verschoben werden, können wir dies durch Klammern erzielen, die zusätzlich über einen Bügel oder eine Maske außen am Kiefer verfügen. Neuerdings gibt es überdies durchsichtige lose Schienen für die Zähne – aber diese sind wesentlich ungenauer als feste Klammern.
Seit wann gibt es Zahnspangen, und inwiefern hat sich die Technik verändert?
Erste Zahnspangen, etwa aus Kautschuk, gehen auf das Ende des 18. Jahrhundertszurück. 1920 folgten so genannte Doppeldecker, die auch schon Ober- und Unterkiefer korrigierten. Inzwischen können wir feste Klammern, Lingualspangen, auch innen an den Zähnen befestigen. Diese sind zum Beispiel für Erwachsene geeignet, deren Beruf von außen unsichtbare Klammern erfordert. Diese Modelle sind sehr aufwendig – und werden nicht von der Krankenkasse bezahlt. Bei vielen sind sie jedoch sehr in Mode gekommen.
Wie lange dauert die Behandlung mit einer Zahnspange in der Regel?
Kinder und Jugendliche tragen ihre Klammern in der Regel immer oder 16 Stunden lang täglich über einen Zeitraum von drei Jahren. Sie sollen Ober- und Unterkiefer zueinander richtig- und die Zähne geradestellen. Bei Erwachsenen ist die Behandlungsdauer sehr unterschiedlich, man kann schon innerhalb eines Jahres große Effekte erzielen.
Warum und wie sind Sie Kieferorthopädin geworden?
Während meines Studiums der Zahnmedizin habe ich alles gemacht: Zähne gezogen, Karies entfernt, Füllungen bearbeitet. Die Kieferorthopädie fand ich deshalb so spannend, weil sie mir dynamischer vorkam: Hier berate ich die Patient:in umfassend, entwickle beste Lösungen und oft auch einen Plan B oder C dazu. Denn: Am Ende macht der Körper immer, was er will. Da ist es gut, mit Alternativen vorbereitet zu sein.
Hat sich Ihre Arbeit durch COVID-19 verändert?
Am Anfang der Pandemie durften wir zwei Monate lang nur Notfälle behandeln, danach Patient:innen mit halbstündigen Terminfenstern, woraufhin die Warteliste anstieg. Mitgebrachte Klammern müssen wir coronabedingt besonders desinfizieren, wir selbst neben Kittel und FFP-Maske zusätzlich ein Visier und eine OP-Haube tragen. Anfangs hatten viele von uns über Ohren- oder Kopfschmerzen geklagt, inzwischen haben wir uns daran gewöhnt.